Rückblick auf die erste Kiezversammlung Lichtenberg

Am Sonntag 6.11. fand die erste Lichtenberger Kiezversammlung statt. Wir schreiben diesen Bericht für alle, die auch in ihren Vierteln eine Versammlung starten wollen und ein bisschen Inspiration brauchen. Wir freuen uns auf eure eigenen Berichte und stehen für Rückfragen zur Verfügung. Perspektive Selbstverwaltung hat die Kiezversammlung supportet und hostet hier dessen Gastbeitrag:

Die Vorbereitung

Eine Vorbereitungsgruppen lud sechs Wochen vorher zu einem ersten Treffen ein. Hier waren verschiedene Akteur*innen aus Haus- und Gartenprojekten, der Berliner Mietergemeinschaft und antifaschistischen Gruppen vertreten. Hier wurde sich darauf geeinigt, dass wir eine niedrigschwellige Versammlung brauchen, um dem Problem der Preissteigerungen und der Verschlechterung unserer Lebensbedingungen zu begegnen. Das Credo ist „Erstmal mit allen reden und dann gemeinsam handeln“. Es wurde eine kurze Einladung mit mehreren allgemeinen Fragen formuliert.

Die Mobilisierung lief dann hauptsächlich über die bisher üblichen Kanäle um Veranstaltungen anzukündigen (nebenan.de, Stressfaktor, Telegram-Kanäle, Signal-Gruppen, Emails). Hinzu kamen rund um den Austragungsort Haustürflyer und Plakate. Zusätzlich gab es einen Artikel im Neuen Deutschland, in dem die Versammlung erwähnt wurde. Außerdem wurde an zwei Nachmittagen Straßengespräche an einem Bahnhof zu Preissteigerungen und Protestmöglichkeiten durchgeführt.

Die Haustürflyer haben sich als besonders erfolgreich erwiesen – auch wenn sie manchmal schnell wieder weg waren, was zu einiger Verwirrung geführt hat, weil Menschen sich unsicher waren, ob die Kiezversammlung noch stattfindet. In Zukunft wollen wir deshalb Flyer machen, die Bewohner*innen selbst ausdrucken in ihrem Hausflur aufhängen können. Als weiteren Hinweis für künftige Mobilisierung haben wir uns die ‚offiziellen‘ Infokästen in der Nachbarschaft und eine Anzeige im ‚Wochnblatt’ vorgemerkt.

Einige Besucher*innen der Kiezversammlung waren sich über die Veranstalter*innen unseres Treffens unsicher. Es kann sicher hilfreich sein, in der Vorbereitung mit Stadtteilzentren oder sonstige bekannte Akteure zusammenzuarbeiten, und deren Namen mit auf die Flyer zu setzen. Andererseits finden wir es auch wertvoll, wenn sich Nachbar*innen trauen, aus eigener Initiative etwas zu starten. Wir hoffen dass dem Label ‚Lichtenberger Kiezversammlung‘ zukünftig genug Vetrauen geschenkt wird.

Der Ablauf

Es kamen rund 80 bis 100 Menschen. Dass so viele da waren, hat unserer Meinung nach mit dem Veranstaltungsort (ein altes, seit Jahrzehnten geschlossenes Schwimmbad), der parallel laufenden Mobilisierung zur großen „Umverteilen“-Demo und auch der Dringlichkeit des Themas zu tun. Für viele dürfte die Kiezversammlung auch das richtige Event zum richtigen Zeitpunkt gewesen sein. Viele Menschen sehnen sich nach mehr Austausch, mehr Nachbarschaft, gerade in Zeiten wo unbekannte Herausforderungen auf sie zukommen.

Aufgrund der großen Anzahl der Leute haben wir auf eine persönliche Vorstellungsrunde verzichtet und nach Kaffee&Kuchen die Themen abgefragt, weswegen Menschen da sind. Also ob wegen Nebenkostenerhöhungen, oder gestiegenen Lebensmittelpreisen oder weil man sich für Aktionen vernetzen will, etc. Nach dieser Eröffnung ging es dann an sogenannte Thementische, wo in kleineren Gruppen diskutiert werden sollte. Es gab einen Tisch zu Wohnen/Nebenkosten, zu Lebensmitteln, zu Aktionen und einen spontanen Tisch zu Austausch und sozialen Orten. Zusätzlich wurden interaktiv solidarische Orte auf einer Karte von Lichtenberg eingetragen.

Dann wurden Ergebnisse der Diskussionsrunden in großer Runde zusammengetragen und mündeten in kurzen zusätzlichen Ergänzungen. Hier ist anzumerken, dass in den Arbeitsgruppen  hauptsächlich bereits organisierte Menschen geredet haben – von sonstigen Anwesenden wurde nicht so viel beigetragen. Dies mag mit der hohen Hürde zu tun haben, spontan in der Öffentlichkeit zu sprechen, vielleicht aber auch damit, dass sich die Organisierten bereits Gedanken gemacht hatten. Hier könnten gute, konkrete Fragen helfen um gemeinsam was zu erarbeiten.

Während des gesamten Programms gab es eine organisierte Kinderbetreuung.

Positiv ist uns aufgefallen, dass wir nicht von Rechten oder Verschwörungsideolog*innen gestört wurden. Lichtenberg, ist ein Kiez in dem AfD und co. hohe Wahlergebnisse erzielen. Gerade hier war es uns wichtig, klare nicht-rechte Angebote zur Krise zu schaffen. Auf der Einladung hatten klargemacht dass wir uns gegen eine rechte Vereinnahmung stellen. Es gab eine unmissverständliche Ausschlussklausel, dennoch ist eine gute personelle Vorbereitung für solche Zwischenfälle unerlässlich.

Die Ergebnisse

Das wohl wichtigste Ergebnis ist, dass die Kiezversammlung tatsächlich dazu führt, dass sich Nachbar*innen besser kennen lernen. Man grüßt sich beim Einkaufen, oder wenn man sich auf der Straße begegnet. Ein erster Schritt, zusammen auch Sachen zu unternehmen oder gar zu organisieren ist hiermit gemacht.

Konkret gibt es zwei Vorhaben. Erstens soll ein regelmäßiges gemeinsames Kochen organisiert werden. Es hat sich eine Gruppe für die Vorbereitung gefunden und wir freuen uns auf die Einladung und das leckere Essen! Dann soll es im Dezember eine Tour geben zu den solidarischen Orte im Kiez – das auch, um diese besser, oder überhaupt kennenzulernen. Schließlich ist es natürlich auch ein wichtiges Ergebnis, dass es eine nächste Kiezversammlung geben wird. Das  wollten alle, und sie ist für Januar angedacht.

Als Kommunikationsmittel wurde eine Mailingliste eingerichtet und auf eine bereits bestehende Telegramgruppe verwiesen. Es soll angestrebt werden, auch Papiermedien wie das erwähnte Wochenblatt zu bespielen. Ansonsten hoffen wir, dass wir uns auf kommenden Veranstaltungen sehen.

Weiter

Es stellt sich heraus, dass die Kiezversammlung auch ein guter Mobilisierungsschub sein kann für Ideen oder Aktionen die es schon länger gibt. Wenn sie im Kontext von Gesprächen gemeinsam entwickelt werden, steht ‚die Nachbarschaft‘ viel mehr dahinter. Scheut also nicht, eure einfachen Ideen nochmal einzubringen, auch wenn sie euch zu simpel oder eingestaubt vorkommen.

Es ist aber damit zu rechnen, dass Menschen nicht sofort auf Aktionsideen anspringen. So wurde die gemeinsame Anreise zur Umverteilen-Demo (eine Woche nach der Versammlung) auch hauptsächlich von organisierten Leute besucht.

Beim ‚Aktionstisch‘ stellte sich heraus, dass die meisten Aktionspotentiale aus den Hilfsangeboten erwachsen. Also Leute melden sich weil sie Hilfe brauchen bei den Beratungsstrukturen. Wenn die Situation genügend konfliktuell wird, kann ggf. ein Exempel statuiert werden. Zu risikovolleren Aktionen wie z.B. Blockaden sollte man sich genauer mit Rechtsfolgen und berechtigten Ängsten auseinandersetzen. Dafür kann man sich bei Gruppen wie ‚Zwangsräumung verhindern‘ vermutlich Unterstützung holen. Entscheidend ist, dass auch diese Aktionen gemeinsam mit den Menschen entwickelt werden. Unser Eindruck von der allgemeinen Stimmung ist, dass es dafür ggf. noch etwas früh ist, bzw. die Menschen zu solchen Sachen noch nicht bereit sind.

Als Selbstkritik halten wir fest, dass uns eine tiefgehende Analyse gefehlt hat, die die aktuelle Krise mit globalen Verstrickungen (Klima, Nationalismus, Kapitalismus etc.) in Verbindung bringt. Hier muss es um einen fundierten Hintergrund gehen, die man in Gespräche leicht einfließen lassen kann. Auch haben wir es noch nicht geschafft, die Kiezversammlung als radikalisierendes Ereignis zu gestalten. Teilweise hätten wir uns eine mehr kämpferische Stimmung gewünscht – etwas was mit den richtigen Inputs das nächste Mal vielleicht erreicht werden kann.

Wir freuen uns auf einen Erfahrungsaustausch über weitere Kiezversammlungen. Wir sollten am Puls dessen bleiben, was Menschen gerade beschäftigt und die richtigen Aktionspotentiale erkennen.

Auf einen solidarischen Kiez!

Eure Lichtenberger Kiezversammlung
Erreichbar über die Kanäle von Perspektive Selbstverwaltung