DOXA – Zweimal Geflohen

Der folgende Beitrag ist die Übersetzung eines Artikels des russischen Medienkollektivs DOXA. DOXA ist eine der wenigen unabhängigen Zeitungen in Russland und veröffentlicht trotz zunehmender staatlicher Repression regelmäßig Texte gegen Krieg, Diktatur und Ungleichheit. Vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine lag der Schwerpunkt des Teams auf queeren Themen, Studierendenprotesten und antikolonialen Kämpfen innerhalb Russlands. Vielen Dank an dieser Stelle nochmal an das Kollektiv und alle anderen Beteiligten für diesen spannenden Artikel und die gute Zusammenarbeit.

Wie ihr vielleicht mitbekommen habt, haben wir im letzten Jahr eine Kampagne zur Unterstützung von Genoss*innen in Russland gestartet. Wir konnten viele Menschen für unsere Sache gewinnen und auch eine ganze Reihe an interessanten Gesprächen zu diesem Thema führen. Eines fiel dabei immer wieder auf: Sowohl im deutschsprachigen als auch im russischsprachigen Raum gibt es einiges Wissen über die jeweils andere Seite, aber nur selten Primärquellen in beiden Sprachen. Etwas überspitzt formuliert: Wir reden zwar übereinander, aber nicht miteinander.

In unserem Bestreben, Grenzen – auch sprachliche – im Rahmen einer internationalistischen Zusammenarbeit zu überwinden, werden wir an dieser Stelle in Zukunft verstärkt Texte aus linken, antiautoritären Medien übersetzen. Dabei wollen wir einen besonderen Schwerpunkt auf solche Publikationen legen, die nicht in englischer Sprache verfügbar sind. Wir hoffen, auf diese Weise auch im deutschsprachigen Raum eher unbekannte Inhalte einem breiteren Publikum zugänglich machen zu können.

Wenn euch interessante Artikel, oder ähnliches, über den Weg laufen, schickt uns gerne einen Hinweis. „DOXA – Zweimal Geflohen“ weiterlesen

Redebeitrag der Ökosektion bei der Demonstration für den Erhalt von Lüzerath

Am Sonntag 5. Februar fand eine Demonstration statt unter dem Motto ‚Lüzerath lebt weiter – Bewegungen lassen sich nicht räumen‘. Perspektive Selbstverwaltung war anwesend und hielt einen Redebeitrag:

Die Räumung von Lützerath ist eine weitere eingerissene Brandmauer auf dem Weg in die Klimakrise. Wir, als Individuen und als Bewegung, wir haben immer wieder mit harten Rückschlägen zu kämpfen. Während wir hier stehen, werden weitere Besetzungen angegriffen: in der Nähe von Dresden wird ab nächster Woche der „Heibo“ geräumt. Die Besetzer*innen kämpfen für einen Wald, unter dem Kies abgebaut werden soll. Auch im Fechenheimer Wald nahe Frankfurt verteidigen mutige Menschen unsere Zukunft. Dort wird ein weiteres lebendiges Ökosystem brutal gekillt, wachsende Bäume müssen weichen für tonnenweise Asphalt, Leitplanken, Stau.

Der Heibo, der Fecher, Lützerath: diese Orte, die wir in dieser Rodungssaison verteidigen wollen, reihen sich ein in eine lange Tradition.

Vor zwei Jahren haben wir ganz ähnliches im Dannenröder Wald erlebt, vor vier Jahren kämpften wir im Hambacher Forst gegen die gleichen Kohlebagger, die jetzt Lützerath zerstören. Und auch vor über 40 Jahren haben sich bei den Anti-Atomkraft-Protesten im Wendland bereits Menschen zusammengetan, um auf bedrohtem Boden solidarisch zusammenzuleben. Das gleiche passierte damals auch in Frankfurt, wo gegen den Bau der Startbahn West am Flughafen Widerstand geleistet wurde. An all diesen Orten entstanden Dorfbesetzungen, Ackerbesetzungen und Waldbesetzungen, Hüttendörfer und Blockaden.

Und immer wieder wurde geräumt. Immer wieder wurden wir und unsere Genoss*innen verletzt. Immer wieder gab es Tote zu betrauern. Immer wieder haben wir Kämpfe verloren. Immer wieder fielen Hundertschaften, Wasserwerfer, Helikopter in unsere bedrohten Freiräume ein und versuchten, sie zu zerstören.

Warum machen wir trotzdem weiter? Warum gibt es auch nach Jahrzehnten der Umwelt- und Klimabewegung weiterhin Aktionen, Projekte, Besetzungen?

Dafür gibt es ganz sicher so viele Gründe, wie es Menschen gibt, die mit uns kämpfen. Aber eins möchten wir heute besonders herausstellen:

Lützerath und all die anderen besetzten, befreiten, verteidigten oder verlorenen Orte waren ganz besondere Freiräume. Es sind Orte der Utopie, des Lachens und der gemeinsamen Lagerfeuer. Es sind Orte des Lernens und der stundenlangen Gespräche mit vorher völlig Fremden Menschen. Das mag kitschig klingen, aber es ist die Wahrheit. Immer wieder trifft man Menschen, die sagen, dass sie in Besetzungen zum ersten Mal sie selbst sein konnten. Dass sie neues Selbstbewusstsein erlangt haben. Dass sie zum ersten Mal Solidarität und Gemeinschaft erfahren haben und dass sie jetzt wissen: es gibt etwas, dafür lohnt es sich zu kämpfen.

Viele von uns kennen das beißende Gefühl von Pfefferspray in den Augen und auf der Haut, die Angst angesichts eines erhobenen Knüppels, die weiße Leere in der Polizeizelle. Aber wir sind bereit, diesen Preis in Kauf zu nehmen, denn wir haben gespürt, dass es eine bessere Welt geben kann. Wir wissen, dass es keine Befehle und keine Hierarchien braucht, um eine schlagkräftige Aktion zu organisieren. Und wenn wir gemeinsam Barrikaden bauen, in der Küche für Alle das Gemüse schnippeln, alte Lieder singen, dann greifen wir nach der Freiheit, die uns verwehrt geblieben ist. Wir brauchen den Staat nicht, der mit RWE und anderne Konzernen Hand in Hand arbeitet. Wir sind besser dran ohne die Polizei, die uns verprügelt, wenn wir eine bessere Zukunft wollen. Wir sind stark, wenn wir uns selbst organisieren.