Zu Palästina und Israel

 

Einleitung

Anmerkung: Die englische Version ist der original Text und umfasst an einigen Stellen eine schärfere Analyse als die deutsche Übersetzung. Wenn euch Dinge unklar erscheinen lest gerne auch die englische Version.

Seit sieben langen Monaten sehen wir, wie sich das grausame Blutbad, der Tod und die Zerstörung in Palästina verschärfen. Die Region hat ein Stadium erreicht, in dem genozidale Rhetorik und Praxis, das wahllose Töten von Zivilist*innen, nicht nur stattfinden, sondern in dem auch die Abgründe menschlicher Zivilisation live in die ganze Welt übertragen werden. Und mittlerweile zeigt sich weltweit, insbesondere in Deutschland, ein zutiefst problematischer Diskurs über diese Ereignisse, ihre historischen Wurzeln und es werden sogar Legitimationsversuche verbreitet.

Sieben lange Monate haben wir, Perspektive Selbstverwaltung, eine anarchistische Organisation in Berlin, dazu geschwiegen. Mit dieser Erklärung wollen wir das Schweigen brechen, das viele von uns als Kompliz*innenschaft mit dem Genozid in Gaza verstehen. Wir wollen am Anfang klarstellen, dass die palästinensische und die israelische Gesellschaft, wie alle Gesellschaften, heterogen sind und voller innerer Widersprüche und (gegensätzlicher) Bewegungen mit unterschiedlichen Perspektiven stecken. Es ist wichtig, darüber zu lernen und sie zu berücksichtigen, um ein tieferes Verständnis der Region, ihrer Geschichte und der dort wirkenden Ideologien zu gewinnen.

Da das die erste Stellungnahme unserer Organisation zu diesem Thema ist, soll es keine tiefgreifende Analyse, sondern eine Positionierung sein. Es gibt viele Organisationen und Personen, die über tiefere Kenntnisse, Erfahrungen und Analysen zu vielen Aspekten dieses Themas verfügen als wir.[1]Unter anderem: 972 Magazine, Standing Together, Palästina Spricht, Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost, Jewish Bund, Azadeh Sobout, Sara Roy, Edward Said, Ella Habiba Shohat, Iris … Continue reading

Wir möchten mit diesem Text unsere Positionen zum deutschen Diskurs, den historischen Wurzeln des Konflikts, zu den Ereignissen des 7. Oktobers und zum andauernden genozidalen Krieg in Gaza klarstellen. Und außerdem eine Selbstkritik zu unserem langen Schweigen formulieren. Wir sind dankbar für konstruktive Kritik und einen solidarischen Diskurs.

Zum deutschen Diskurs

Der deutsche Diskurs über den aktuellen Gaza-Krieg, über Antisemitismus und die Reaktionen darauf in den deutschen Medien zeichnet sich vor allem durch unglaubliche Kontextlosigkeit und eine Tendenz zu absoluten moralischen Imperativen aus. Dies spiegelt sich auch in den wiederholten (oder eigentlich nicht vorhandenen) Diskursen und Auseinandersetzungen innerhalb der radikalen Linken wider. Damit ist eine Debatte wieder aufgeflammt, die es in der Vergangenheit wiederholt geschafft hat, Bündnisse zu beenden und Organisationen zu spalten. Zusätzlich wird in der deutschen Öffentlichkeit jeder Kritik an der israelischen Politik, jeder Solidaritätsbekundung mit Palästinenser*innen und jedem Hinweis auf rassistische und koloniale Kontinuitäten[2]https://www.972mag.com/germany-israel-palestine-solidarity-repression der Vorwurf von Antisemitismus entgegengebracht. Um einige Beispiele zu nennen: ein Team von jüdisch-israelischen und palästinensischen Filmemachern auf der Berlinale[3] https://www.972mag.com/basel-adra-yuval-abraham-berlinale[4]https://www.nd-aktuell.de/artikel/1180355.antisemitismus-eklat-auf-der-berlinale-mit-scheuklappen-um-die-eigene-achse.html; migrantische und linke Aktivist*innen, die Opfern faschistischer Gewalt gedenken[5]https://www.nd-aktuell.de/artikel/1180170.hanau-anschlag-von-hanau-bis-berlin-gedenken-heisst-auch-kaempfen.html; internationale und jüdische Organisationen[6]https://www.juedische-stimme.de/berliner-sparkasse-sperrt-konto-der-j%C3%BCdischen-stimme; ein Kongress, auf dem sich Menschen über den andauernden Genozid bilden und Gedanken austauschen wollen[7]https://www.instagram.com/p/C5rZsmNMwti/?igsh=bWFrdmRjNmF5bm4w; soziale Einrichtungen, aus deren Belegschaft zwei Sozialarbeiterinnen ihre Stimme gegen den Genozid auf ihren privaten Instagram Accounts erhoben[8]https://www.nd-aktuell.de/artikel/1181673.palaestina-kongress-friedrichshain-kreuzberg-schliesst-queere-maedchentreffs.html (diese Liste ist unvollständig und wird jeden Tag länger).

Dies erstickt jede konstruktive und ehrliche Debatte. Es untergräbt jedes „Nie wieder“ und verhöhnt die Gefahr, der Jüd*innen aufgrund des in der deutschen Gesellschaft nach wie vor vorhandenen Antisemitismus ausgesetzt sind. Im Gegenteil, wir glauben, dass wir „Nie wieder“ und „Wehret den Anfängen“ nicht nur schablonenartig auf Antisemitismus anwenden dürfen, sondern auf allgemeine gesellschaftliche Mechanismen. „Nie wieder“ muss bedeuten: „Nie wieder für niemanden“.

Natürlich gibt es in der deutschen Gesellschaft und damit auch in der deutschen Linken immer noch einen tief sitzenden, oft direkt gewalttätigen Antisemitismus, gegen den wir vorgehen müssen. Aber große Teile der deutschen Gesellschaft lassen sich schnell dazu verleiten, auch anderen unterdrückten Minderheiten Schuld zuzuschieben, zu versuchen sie zum Schweigen zu bringen, zu entmachten, abzuschieben und sogar einen Genozid an ihnen zu rechtfertigen. Das dürfen wir nicht tolerieren. Dass es ausgerechnet der Holocaust ist, der als Rechtfertigung für den Massenmord an Palästinenser*innen missbraucht wird, ist als würden wir es zulassen von der Geschichte verhöhnt zu werden, indem wir eine rassistische und koloniale Kontinuität fortsetzen.

Ein weiteres trauriges Beispiel für die Doppelmoral des westlichen Diskurses ist die Debatte über sexualisierte Gewalt. Sexualisierte Gewalt und ihre Anwendung als Kriegswaffe, verurteilen wir aufs Schärfste und wollen sie, wann auch immer sie auftaucht, bekämpfen. Sexualisierte Gewalt sehen wir als Bestandteil jedes Krieges an Land und dies wird nicht annähernd so oft thematisiert, wie es nötig wäre. Wir stellen uns klar gegen jede Form von sexualisierter Gewalt. Aber es ist wichtig, sich der selektiven und asymmetrischen Berichterstattung über das Thema bewusst zu sein. Und so wie es im aktuellen Diskurs eingesetzt wird, dient es vor allem der Stärkung rassistischer, orientalistischer und antimuslimischer Narrative.

Historische Wurzeln und ihre Kontinuitäten

Zuerst wollen wir auf die Tendenz in der deutschen Debatte eingehen, welche die Geschehnisse des 7. Oktober, den Hamas-Angriff und die Rachekampagne des israelischen Staates fast ausschließlich moralisch und faktisch so diskutiert, als ob dies alles in einem Vakuum stattgefunden hätten.

Ohne uns in Details zu verlieren, verstehen wir, dass die Ereignisse der letzten sieben Monate in einem größeren Rahmen stattgefunden haben. Dieser Rahmen ist durch Zionismus[9]Neben dem Zionismus gibt es auch andere politische jüdische Ideologien. Vor allem die Bundisten (linke Bewegung) war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die bedeutendste jüdische politische … Continue reading, Siedlerkolonialismus, britischen Kolonialismus und viele historische Ereignisse bestimmt. Um nur einige dieser Ereignisse zu nennen: die Vertreibung der meisten europäischen Jüd*innen, vor allem nach dem Holocaust, sowie die Vertreibung vieler nahöstlicher Jüd*innen aus ihrer Heimat und ihre (oft erzwungene[10]Ella Habiba Shohat: Mizrachim in Israel: Zionismus aus der Sicht seiner jüdischen Opfer: https://www.rosalux.org.il/artikel/zionismus-mizrachim) Migration nach Palästina; die Gründung des israelischen Staates 1948 und die darauf folgende Kriegserklärung der arabischen Staaten; die Nakba (die Vertreibung Hunderttausender nicht-jüdischer Palästinenser*innen aus ihrer Heimat im Jahr 1948); die Besatzung des gesamten historischen Palästinas im Jahr 1967; der Jom-Kippur-Krieg im Jahr 1973 zwischen Israel und einer Koalition arabischer Staaten; eine Reihe weiterer Kriege zwischen Israel und Nachbarstaaten; außerdem die Einflussnahme imperialer Mächte und ihre Politik welche die Region stark beeinflusst. Allgegenwärtig ist, seit 76 Jahren, die kontinuierliche Praxis, den Palästinenser*innen ihre grundlegendsten Menschenrechte zu entziehen, die klare Diskriminierung, die das Verbrechen der Apartheid darstellt, sowie die anhaltende Vertreibung, Gewalt und israelische Siedlungspolitik im Westjordanland.

Da es unzählige Berichte und Analysen über das israelische System der Apartheid gibt, teilen wir dieser besser, als sie noch einmal in unseren eigenen Worten zusammenzufassen. Im umfangreichen Bericht von Amnesty International aus dem Jahr 2022 „Isreal’s Apartheid against Palestinians“ heißt es: „Israel erzwingt ein System der Unterdrückung und Herrschaft gegen Palästinenser*innen in allen von ihm kontrollierten Gebieten: in Israel und in den OPT [Occupied Palestinian Territory] sowie gegen palästinensische Flüchtlinge, um jüdischen Israelis zu nützen. Dies entspricht der nach internationalem Recht verbotenen Apartheid.“ [eigene Übersetzung] Der Bericht beschreibt vier Strategien, die dabei zum Einsatz kommen: Aufteilung in Kontrollbereiche, Enteignung von Land und Eigentum, Segregation und Kontrolle sowie Entzug wirtschaftlicher und sozialer Rechte.[11]https://www.hrw.org/report/2021/04/27/threshold-crossed/israeli-authorities-and-crimes-apartheid-and-persecution[12]https://www.amnesty.org/en/latest/campaigns/2022/02/israels-system-of-apartheid[13]https://www.btselem.org/publications/fulltext/202101_this_is_apartheid Wir stimmen der großen Mehrheit der internationalen antikolonialen und palästinensischen Stimmen zu und stehen ihnen im Kampf gegen Israels Apartheid zur Seite.

Auf jeden Fall muss verdeutlicht werden, dass der überwiegende Teil der jüdischen Migration in die Region nach dem Holocaust und aufgrund der jahrhundertelangen Verfolgung der jüdischen Bevölkerung in ganz Europa erfolgte. Obwohl das Naziregime in Deutschland besiegt war, hinderten die deutsche Gesellschaft und andere europäische Gesellschaften viele jüdische Menschen daran, in ihrer Heimat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren. Für viele war Israel ein Ort der Hoffnung um in Sicherheit leben zu können. Unserer Meinung nach entbinden diese unbestreitbaren Tatsachen und das unbeschreibliche Leid der Jüd*innen in Europa, die israelische Gesellschaft und den israelischen Staat jedoch nicht von humanitären Grundsätzen und humanitärer Verantwortung. Diese Grundsätze und Verantwortung wurden in den letzten 76 Jahren eindeutig mit Füßen getreten und systematisch verletzt.

Wir fordern gleiche Rechte und Gerechtigkeit für ALLE Bewohner*innen des Gebietes – dazu zählt auch ein Rückkehrrecht für alle Vertriebenen. Trotz des weltweiten Antisemitismus und der dringenden Notwendigkeit, diesen zu bekämpfen und trotz aller Komplexität der historischen Entwicklung ist es aus unserer Sicht eindeutig: Die palästinensische Bevölkerung wurde und wird vom Staat Israel, seit seiner Gründung, unterdrückt. Darum stehen wir solidarisch an der Seite der palästinensische Bevölkerung.

Die Unterdrückung der vergangenen 76 Jahre darf nicht ignoriert werden. Große Teile der heutigen Bevölkerung Gazas, die hauptsächlich aus entrechteten Vertriebenen und ihren Kindern besteht, mussten in den letzten Jahrzehnten bereits drei Kriege erleben, und die Entmenschlichung, der sie ausgesetzt sind, wird nicht ewig unbeantwortet bleiben. Es ist daher offensichtlich, dass es auf der Suche nach einem gerechten und friedlichen Weg für die palästinensische und die israelische Bevölkerung, keinen Fortschritt geben kann ohne die vergangenen 76 Jahre der Entmenschlichung und Unterdrückung sowie das Selbstbestimmungsrecht ALLER Menschen in dieser Region anzugehen.

Der 7.Oktober und die Hamas

Nachdem Hamas-Kämpfer am 7. Oktober 2023 eine der am stärksten bewaffneten Grenzen der Welt überquert hatten, attackierten und töteten sie sowohl Soldaten als auch Zivilist*innen, sie versuchten dabei augenscheinlich, so viel Blutvergießen wie möglich anzurichten. Auch sexualisierte Gewalt war laut dem jüngsten UN-Bericht Teil dieses Angriffs[14]https://www.aljazeera.com/news/2024/3/4/reasonable-grounds-to-believe-hamas-committed-sexual-violence-un. Sie entführten außerdem eine große Anzahl von Geiseln mit in den Gazastreifen, von denen bis heute 100 nicht zurückgekehrt sind. 5.431 Menschen wurden bei dem Angriff am 7. Oktober verletzt und 1.163 getötet.

Als anarchistische Internationalist*innen wollen wir uns deutlich von der Idee lossprechen, dass die Hamas, eine Organisation des politischen Islamismus, für die umfassende Befreiung der Palästinenser*innen kämpft. Unser Verständnis was Befreiung bedeutet, ist ein anderes. Vor dem 7. Oktober hat die Hamas ihren patriarchalen und brutalen Autoritarismus mehrfach unter Beweis gestellt. Tatsache aber ist, dass die Hamas eine wichtige Kraft im Widerstand gegen die Besatzung und Unterdrückung durch Israel ist. Das macht den Widerstand in seiner Gesamtheit gegen die Besatzung aber nicht weniger gerechtfertigt. Es gibt viele Personen, Gruppen und Organisationen, die sich der Besatzung, der Unterdrückung und der Vernichtung widersetzen, und sie tun dies auf ganz unterschiedliche Weise. Ihr Kampf für die Befreiung ist legitim und in jedem Konflikt unterstützen wir die Kräfte, die unseren Idealen am meisten entsprechen.

Unsere Pflicht ist es solidarisch an der Seite aller zivilen Opfern von Krieg zu stehen, gegen systematische und als Waffe genutzte sexualisierte Gewalt, Vertreibung und Diskriminierung. Dazu gehören sowohl die zivilen Opfer des Angriffs am 7. Oktober als auch alle unterdrückten Palästinenser*innen.

Die genozidale israelische Vergeltung

Kurz nach dem Massaker vom 7. Oktober begann der israelische Vergeltungsschlag mit unerbittlicher Brutalität. Wir alle konnten der schweren, gezielten Bombardierung der zivilen Infrastruktur zusehen (Wohnhäuser, Krankenhäuser, Hilfs- und Lebensmittelverteilungen, Krankenwagen, Journalist*innen, etc.pp.) und die israelische Regierung bemühte sich auch nicht  darum, dies zu verstecken. Im Gegenteil, der israelische Verteidigungsminister Gallant kündigte an, dass die Zivilbevölkerung des Gazastreifens ausgehungert und von allen humanitären Gütern abgeschnitten werde und bezeichnete sie als „menschliche Tiere“. Es gibt zahlreiche weitere menschenfeindliche Verherrlichungen von Kriegsverbrechen und genozidalen Taten durch israelische Politiker*innen. Wir werden sie hier nicht zitieren. In den neuesten Zahlen vom 1. Mai 2024 berichtet das Gesundheitsministerium[15]https://www.ochaopt.org/content/hostilities-gaza-strip-and-israel-reported-impact-day-208 in Gaza, dass 34.568 Palästinenser*innen (darunter über 14.000 Minderjährige) getötet, 77.765 verletzt und über 7.000 unter den Trümmern vermisst werden, insgesamt rund 120.000 Opfer seit Beginn des Krieges, das sind über 5% der 2,3 Millionen Einwohner des Gazastreifens. 75% der Bevölkerung wurden innerhalb des Gazastreifens vertrieben. Zu diesem unsäglichen Grauen kommt noch eine gezielt herbeigeführte Hungersnot hinzu, da Israel die Einfuhr von Hilfs- und Lebensmittellieferungen in den Gazastreifen stark eingeschränkt hat.

Und die israelische Führung plant bereits die nächsten Angriffe auf den Rest des Gazastreifens. Zwar wird seit einiger Zeit über eine Waffenruhe verhandelt, aber es scheint so, als würde diese dann auch nur vorübergehend in Kraft treten, und kein klares Ende des Leidens der Palästinenser*innen mit einschließen. Menschenrechtsverletzungen durch die israelische Armee, Fälle von Folter[16]https://www.amnesty.org/en/latest/news/2023/11/israel-opt-horrifying-cases-of-torture-and-degrading-treatment-of-palestinian-detainees-amid-spike-in-arbitrary-arrests, Misshandlung und sexualisierter Gewalt[17]https://www.theguardian.com/world/2024/feb/22/claims-of-israeli-sexual-assault-of-palestinian-women-are-credible-un-panel-says[18]https://news.un.org/en/story/2024/02/1146667 in israelischen Gefängnissen häufen sich weiter. Gleichzeitig eskalieren die Angriffe im Westjordanland[19]https://www.972mag.com/pogroms-west-bank-soldiers-settlers, im Libanon und in Syrien sowie die Konfrontation mit dem Iran weiter. Aus unserer Sicht geht es bei der Militäroperation der rechtsextremen israelischen Regierung um die militärische Vernichtung des Gazastreifens, koste es, was es wolle. Damit will die israelische Regierung Grundlagen schaffen, um einen nicht näher definierten Nachkriegsplan umzusetzen und ihre eigene Machtposition zu erhalten.

Es gibt keine Rechtfertigung für die Taten des israelischen Staates, dieser ist für die Hungersnot und das Leid der Zivilbevölkerung und das zehntausendefache Sterben, sowie für den Tod seiner eigenen Soldat*innen und Zivilist*innen verantwortlich[20]https://www.reuters.com/world/middle-east/israeli-military-opens-probe-into-reports-oct-7-friendly-fire-deaths-2024-02-06[21]https://www.haaretz.com/israel-news/2024-01-06/ty-article/.premium/families-of-israelis-killed-in-beeri-home-hit-by-tank-fire-on-october-7-demand-probe/0000018c-de77-daf6-a5df-df7f22d60000. Wenn wir uns um die zivilen Opfer des Angriffs vom 7. Oktober sorgen, müssen wir auch die Auslöschung unschuldiger Menschenleben bei dem israelischen Gegenangriff betrauern; alles andere ist heuchlerisch. So sehr wir ein Ende dieser Hölle auf Erden für die Bevölkerung Gazas fordern, so sehr fordern wir auch die Freilassung aller Geiseln – nicht nur der Geiseln im Gazastreifen, sondern auch derjenigen in israelischen Gefängnissen (mindestens 3660 sind in ohne Anklage in Administrativhaft, das sind 40 % aller palästinensischen Gefangene[22]https://www.aljazeera.com/news/2024/4/17/palestinian-prisoners-day-how-many-palestinians-are-in-israeli-jail[23]Darüber hinaus schlägt der israelische Minister Itamar Ben-Gvir vor, die Todesstrafe für als „Terroristen“ eingestufte palästinensische Häftlinge zu verhängen, um der Überfüllung … Continue reading). Wir müssen präzise unsere Forderungen stellen – für unsere eigene Menschlichkeit, unsere Werte und für die betroffenen Menschen.

Selbstkritik und unser Standpunkt

Bei der Gründung unserer Organisation haben wir es aufgrund der bereits erwähnten Eigenheiten der deutschen Debatte vermieden, eine klare gemeinsame Position zu Palästina und Israel zu finden. Als Perspektive Selbstverwaltung (PS) haben wir versucht, uns auf lokale Politik in Berlin zu konzentrieren und sind zu dem Schluss gekommen, dass eine gemeinsame Position zu Palästina und Israel nicht notwendig wäre. Die letzten sieben Monate, mit ihrer Polizeigewalt gegen (pro-)palästinensische Proteste in Berlin; der kontinuierlichen und sogar beschleunigten Genehmigung von Waffenlieferungen nach Israel durch die deutsche Regierung (im Vorjahr machen deutsche Waffenexporte 47 % der Waffenimporte Israels aus[24]https://counter-investigations.org/investigation/german-arms-exports-to-israel-2003-2023[25]Deutschland ist nach den USA Israels größter Waffenlieferant und lieferte nach Angaben des Wirtschaftsministeriums im Jahr 2023 Ausrüstung und Waffen im Wert von 326,5 Millionen Euro (353,7 … Continue reading) obwohl klar ist, welche Gräueltaten in Gaza damit begangen werden[26]Die Grünen, die an der aktuellen Regierung beteiligt sind, sprechen sich auf ihrer Website weiterhin gegen Waffenexporte in Kriegs- und Krisengebiete aus: „Darüber hinaus lehnen wir … Continue reading; die Tatsache, dass die größte palästinensische Diaspora Europas in Berlin lebt; zunehmende Islamophobie und Antisemitismus innerhalb der deutschen Gesellschaft sowie der Verlauf der „Debatten“ in Berlin und Deutschland haben unsere bisherigen Annahmen widerlegt. Wir waren der Meinung, dass wir vor einer öffentlichen Erklärung zuerst eine klare gemeinsame Position in unserer Organisation finden müssen, nicht nur zum neuen Krieg, sondern auch zur Einschätzung des Konflikts im Allgemeinen.

Diese Diskussionen sind nicht in allen Details abgeschlossen und werden es vielleicht auch nie sein. Wir sind uns jetzt bewusst, dass wir durch unser Schweigen als Organisation nichts getan haben, um unser Mitgefühl und unsere Solidarität mit den zivilen Opfern in Gaza und anderen Teilen Palästinas sowie mit den zivilen Opfern des 7. Oktobers zum Ausdruck zu bringen. Mehr noch, wir haben nichts getan, um einen sich entfaltenden Genozid in Gaza zu verhindern. Wir verstehen uns als Teil einer internationalistischen Bewegung und stehen an der Seite derer, die von Kriegen betroffen sind und unter ihnen leiden. Wir empfinden es als unerlässlich, unsere Stimme mit den Menschen zu erheben, die sich dagegen erheben und Widerstand leisten, und wir bereuen, das nicht schon früher getan zu haben.

Deshalb sagen wir laut und deutlich: Wir stehen an der Seite aller Menschen, die unterdrückt, entrechtet und von Kriegen, Hunger, als Waffe genutzter und systematischer sexualisierter Gewalt und Genozid betroffen sind. Das ist unsere humanitäre und sozialistisch-anarchistische Pflicht. Alles andere wäre eine humanitäre Doppelmoral, die wir entschieden ablehnen. Wir sind solidarisch mit der Bewegung für die Befreiung Palästinas von der israelischen Besatzung und Unterdrückung und wir sind solidarisch mit allen Stimmen, die einen gerechten und fairen Frieden im Nahen Osten fordern, mit gleichen Rechten für alle. Waffenstillstand jetzt, Schluss mit dem Genozid, Schluss mit der Apartheid!

Fußnoten u. Quellen

Fußnoten u. Quellen
1 Unter anderem: 972 Magazine, Standing Together, Palästina Spricht, Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost, Jewish Bund, Azadeh Sobout, Sara Roy, Edward Said, Ella Habiba Shohat, Iris Hefets, Naomi Klein, Judith Butler, Ilan Pappe
2 https://www.972mag.com/germany-israel-palestine-solidarity-repression
3 https://www.972mag.com/basel-adra-yuval-abraham-berlinale
4 https://www.nd-aktuell.de/artikel/1180355.antisemitismus-eklat-auf-der-berlinale-mit-scheuklappen-um-die-eigene-achse.html
5 https://www.nd-aktuell.de/artikel/1180170.hanau-anschlag-von-hanau-bis-berlin-gedenken-heisst-auch-kaempfen.html
6 https://www.juedische-stimme.de/berliner-sparkasse-sperrt-konto-der-j%C3%BCdischen-stimme
7 https://www.instagram.com/p/C5rZsmNMwti/?igsh=bWFrdmRjNmF5bm4w
8 https://www.nd-aktuell.de/artikel/1181673.palaestina-kongress-friedrichshain-kreuzberg-schliesst-queere-maedchentreffs.html
9 Neben dem Zionismus gibt es auch andere politische jüdische Ideologien. Vor allem die Bundisten (linke Bewegung) war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die bedeutendste jüdische politische Ideologie, während der Zionismus damals nur sehr wenige Anhänger hatte. In ihrem Interview mit dem Stichpunkt Magazin gibt Iris Hefets, Mitglied der Jüdischen Stimme, weitere Informationen zu diesem Thema: https://www.youtube.com/watch?v=-jmTKFb_1l4
10 Ella Habiba Shohat: Mizrachim in Israel: Zionismus aus der Sicht seiner jüdischen Opfer: https://www.rosalux.org.il/artikel/zionismus-mizrachim
11 https://www.hrw.org/report/2021/04/27/threshold-crossed/israeli-authorities-and-crimes-apartheid-and-persecution
12 https://www.amnesty.org/en/latest/campaigns/2022/02/israels-system-of-apartheid
13 https://www.btselem.org/publications/fulltext/202101_this_is_apartheid
14 https://www.aljazeera.com/news/2024/3/4/reasonable-grounds-to-believe-hamas-committed-sexual-violence-un
15 https://www.ochaopt.org/content/hostilities-gaza-strip-and-israel-reported-impact-day-208
16 https://www.amnesty.org/en/latest/news/2023/11/israel-opt-horrifying-cases-of-torture-and-degrading-treatment-of-palestinian-detainees-amid-spike-in-arbitrary-arrests
17 https://www.theguardian.com/world/2024/feb/22/claims-of-israeli-sexual-assault-of-palestinian-women-are-credible-un-panel-says
18 https://news.un.org/en/story/2024/02/1146667
19 https://www.972mag.com/pogroms-west-bank-soldiers-settlers
20 https://www.reuters.com/world/middle-east/israeli-military-opens-probe-into-reports-oct-7-friendly-fire-deaths-2024-02-06
21 https://www.haaretz.com/israel-news/2024-01-06/ty-article/.premium/families-of-israelis-killed-in-beeri-home-hit-by-tank-fire-on-october-7-demand-probe/0000018c-de77-daf6-a5df-df7f22d60000
22 https://www.aljazeera.com/news/2024/4/17/palestinian-prisoners-day-how-many-palestinians-are-in-israeli-jail
23 Darüber hinaus schlägt der israelische Minister Itamar Ben-Gvir vor, die Todesstrafe für als „Terroristen“ eingestufte palästinensische Häftlinge zu verhängen, um der Überfüllung der Gefängnisse zu begegnen, nachdem die Regierung 936 neue Haftplätze genehmigt hat: https://www.middleeastmonitor.com/20240418-ben-gvir-executing-palestinian-detainees-best-way-to-combat-prison-overcrowding/amp
24 https://counter-investigations.org/investigation/german-arms-exports-to-israel-2003-2023
25 Deutschland ist nach den USA Israels größter Waffenlieferant und lieferte nach Angaben des Wirtschaftsministeriums im Jahr 2023 Ausrüstung und Waffen im Wert von 326,5 Millionen Euro (353,7 Millionen Dollar).
26 Die Grünen, die an der aktuellen Regierung beteiligt sind, sprechen sich auf ihrer Website weiterhin gegen Waffenexporte in Kriegs- und Krisengebiete aus: „Darüber hinaus lehnen wir Waffenlieferungen in Kriegs- und Krisengebiete ab.“ und sind damit faktisch Kriegstreiber.