(100% DIY, keine Forderungen oder Politiker*innen)
Diskussionsbeitrag von Tinan (PS)
English Version below
Die Inflation greift um sich, auch im wohlstandsverwöhnten Deutschland. Sogar die Finanzpresse fragt sich nicht mehr ob Wirtschaftskrise oder nicht, sondern ob es eine ziemlich große oder riesige sein wird.{{https://www.cnn.com/2022/04/26/economy/inflation-recession-economy-deutsche-bank/index.html}} Die Kraft, damit klarzukommen, kann nur von unten, aus der Gesellschaft kommen. Wir präsentieren 9 Maßnahmen, die wir direkt, und nur zusammen, umsetzten können. Wir brauchen keine Politiker*innen!
Es geht uns hier um Maßnahmen, die direkt umgesetzt werden können. Selbstorganisierung, die keine Politik braucht, um ansprechend zu sein. Selbstorganisation, die oft erfolgreicher und flexibler auf aktuelle Probleme reagiert, als das karitative politische Lösungen je können. Als Anarchist*innen sollten wir diese Strukturen unterstützen, wo wir können. Und wir sollten nicht müde werden zu zeigen, dass gerade diese Strukturen auf die Möglichkeit einer anderen, solidarischen Gesellschaft zeigen, die so oft als Utopie ad acta gelegt wurde und wird.
Es gibt auch andere Maßnahmen gegen die Krise: Demonstrationen, Streiks und das direkte Widersetzen von kapitalistischen Raubangriffen (z.B. einer Zwangsräumung). Die haben ihre Berechtigung und der Erfolg wird in einer gelungenen Zusammenarbeit bestehen. Selbsthilfe für sich läuft die Gefahr, vom Staat vereinnahmt oder regelrecht usurpiert zu werden. Es wäre nicht das erste Mal, das der Staat selbstorganisierte Strukturen vor die Wahl stellt: entweder einen rechtlichen Rahmen annehmen oder Repressionen ausgesetzt zu sein. So wird die Alternativwirtschaft zum Nulltarif ‘gekauft’. Außerdem braucht auch die beste selbstorganisierte Struktur auf die Dauer einen Rahmen für die Zukunft – Menschen müssen an ihr Erfolg und Fortbestehen glauben, wenn sie in sie Zeit und Ressourcen investieren.
In der Gesellschaft liegt seit jeher der Keim der gegenseitigen Hilfe und sie sprießt gerade. Aber damit sie wachsen kann braucht’s die richtigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Der Kapitalismus ist das nicht. Der Kapitalismus ist die Krise, überwinden wir ihn!
A. Crédito – Die selbstverwaltete Währung
Eine selbstverwaltete Währung als probates Mittel gegen Inflation und globale Lieferschwierigkeiten. Als der argentinische Staat 2001 auf eine Zahlungsunfähigkeit hinsteuerte und die Banken das Abheben von Geld beschränkten, blieb den Argentinier*innen nichts übrig, als ihre eigene Währung zu entwickeln. Der ‘crédito’ war ein Couponsystem das auf ein etabliertes Tauschnetzwerk aufbaute. Alle Güter des täglichen Bedarfs – und irgendwann sogar Wohnraum – konnten damit unabhängig vom Staat erworben werden. Es war ebenfalls der verbindende Faden zwischen den selbstorganisierten Fabriken und den Konsument*innen.
Die Idee, einfach selbst Geld zu drucken gab es schon öfters (und wir meinen jetzt nicht die Fälscherwerkstatt). In Irland entstand während der Bankerstreiks (1970) eine Bierdeckelwirtschaft. Und von ‘oben’ fand die Idee neulich in einigen Katalanischen Kommunen Anwendung… Widersprüche inklusive.{{Für Argentinien: https://de.wikipedia.org/wiki/Cr%C3%A9dito oder Sitrin, Marina: ‘Everyday Revolutions’.
Für Irland: https://en.wikipedia.org/wiki/Irish_bank_strikes_(1966%E2%80%931976) oder Bregman, Rutger: ‘Waarom vuilnismannen meer verdienen dan miljonairs’ (Niederländisch)
Für Katalonien heute: https://www.arte.tv/de/videos/100290-006-A/re-die-geld-netzwerker}}
B. Dauerhaft kostenloser ÖPNV
Was können wir selber tun? Ende der 60er haben Leute als Maßnahme gegen Fahrpreiserhöhungen ihr Auto mit einem roten Punkt als Mitfahrgelegenheit markiert{{https://de.wikipedia.org/wiki/Rote-Punkt-Aktion}} – das geht auch heute, vor allem dort wo der ÖPNV nicht gut ausgebaut ist. Übrigens: laut einem Gerichtsurteil zählt es nicht als „erschlichene Leistung“ wenn wir beim Einsteigen deutlich machen dass wir ohne Ticket fahren. Temporäres 9-Euro Ticket schön und gut, aber in drei Monaten ist das Problem nicht weg!
C. Support your local support structure
Menschen können unglaublich kreativ sein, wenn es darum geht sich in Zeiten der Not zu helfen. Das sehen wir immer wieder. Nachbarschaften organisieren ein Tauschnetzwerk, es entstehen spontane Küfas, Leute stellen massenhaft Wohnraum für Geflüchtete zur Verfügung etc. Auch hier ist das Private politisch, oder …?
Was ist das Verhältnis von (angeblich) unpolitischer Nachbarschaftshilfe oder gar ‘volunteering’ zum ‘politischen’ Verständnis von gegenseitiger Hilfe? Wie kann ein ‘one-issue’ Blick bei ehrenamtlichen Hilfsstrukturen hin zu einer Einordnung in gesellschaftlichen Strukturen geschaffen werden? Wie kann eine staatliche Vereinnahmung der Hilfsstruktur entgegengewirkt werden? Wie das Potential einer nachbarschaftliche Hilfsstruktur für nachbarschaftliche Selbstorganisation hervorgehoben werden? Das sind Fragen, die wir uns als Anarchist*innen stellen sollten.
D. Nehmt!
Es ist Zeit uns zu nehmen, was uns sowieso gehört. Seien es Häuser, sei es Land, sei es Essen oder Drogerieartikel. In Zeiten der Not wächst das Verständnis fürs ‘proletarische Einkaufen’, doch viele checken auch schnell, was wir den Bonzen klauen, und was eigentlich ‘der Gesellschaft’. Ideen gefällig? Checkt mal ‘Rouvikonas’!
E. Don’t stop working?
Ob in Argentinien 2001 oder Griechenland 2012: In Zeiten größter Not ist die Macht der Arbeiter*innen manchmal nicht, die Arbeit niederzulegen, sondern koste was es wolle weiterzuarbeiten. Z.B. dann, wenn aufgrund massiver Fabrikschließungen und miserabler wirtschaftlicher Lage Streiks nicht mehr greifen . Von Eigentümer*in verlassene Betriebe bilden die perfekte Grundlage für einen Neuanfang, eine selbstverwaltete Arbeit, die uns nicht nur die Möglichkeit gibt, etwas zu verdienen, sondern auch – endlich – Würde zu erfahren bei dem was wir tun.{{Siehe z.B. Sitrin, Marina: ‘Everyday Revolutions’ oder Karyotis und Kioupkiolis: ‘self-managing the commons in contemporary greece’ }}
F. Küche für Alle
Was sollen wir da sagen: billiges und gutes Essen für alle. Für alle alle? Ja für alle! Potentiell an jeder Straßenecke oder mit den Nachbar*innen von gegenüber. Hier sind übrigens gute Rezeptideen und das Containern passt ja auch ganz gut ins Bild!
G. Gabenzaun (Umsonstladen, Freebox & Tauschnetzwerke)
Gabenzaun: ein Allrounder, womit Tauschen ein leichtes wird, und in Berlin während Coronazeiten schon ganz gut erprobt. Außerdem gibt’s für einige Nischen schon gut etablierte Tauschnetzwerke (Babyklamotten, BSR & Ebay-Verschenkemarkt etc.). Es ist aber auch klar, dass niemand nur von Luft und verschenkten Klamotten leben kann. Also warum nicht weiter gehen? Arbeitszeit tauschen – eine Stunde vom Putzfachmann gegen eine Stunde der Anwältin – wär ja eigentlich auch fair!{{Beispiel Helsinki: http://www.aikaparantaa.net/english.html}}
Jedoch müssen wir anerkennen – was auch für andere hier genannten Maßnahmen gilt – dass erst eine alle Lebensbedürfnisse umfassende Alternative zum vorherrschenden Wirtschaftssystem als ernstzunehmende Option gelten kann. Es besteht beim Tauschhandel von ‘überflüssiger’ Ware die Gefahr, lebensnotwendige Sachen wie Heizung, tägliches Essen, Gesundheitsvorsorge und Mobilität übersehen werden und man es sich in eine Luxussparte der Ökonomie gemütlich macht. Wie schaffen wir die Verschränkung dieser trotzdem wertvollen Initiativen mit dem großen Ganzen?
H. Ich tausch nicht mehr!
Dieselbe Frage, aber grundlegender stellt sich ein Netzwerk von nichtkommerziellen Projekten. Da Tauschen ja voll Warengesellschaft ist wird hier verschenkt, radikal, ohne Gegenleistung! Ein Experiment mit anderen Eigentumsformen als das Privateigentum, mit anderen Bedürfnissen als die, die von einer kapitalistischen Gesellschaft geformt werden und ein anderer Bezug zu Arbeit und Arbeitszeit, als vom Lohnarbeitsverhältnis vorgegeben. Whui, alles auch ganz schön abenteuerlich, aber möglich, wie einige Projekte im Berliner Umland beweisen. Die Propaganda der Tat als Antwort auf obige Frage? Das Vorleben einer ganz anderen Gesellschaft und die Außenwirkung, die das auf die jetzige hat. Das ist ein Anfang.
I. Solidarische Ökonomie
Hier kommt es alles zusammen: Tauschnetzwerke, solidarische Arztpraxen, Lebensmittelkooperativen, selbstverwaltete Landprojekte, soziale Zentren, Bildungsstätten und Beratungen. Dezentral, selbstverwaltet und gemeinschaftlich sind die ‘Commons’ Aushilfe gegen die Krise und der Weg zur anderen Gesellschaft! Kommt euch eigentlich bekannt vor? In unserem sozialen Gewebe gibt es viele solche Projekte, Überbleibsel vergangener Kämpfe! Baut Verbindung auf! Do-It-Together lohnt sich!{{Helfrich, Silke: ‘Für eine neue Politik Jenseits von Markt und Staat’ für eine gute deutschsprachige Übersicht, (https://www.transcript-verlag.de/media/pdf/58/d3/06/oa9783839428351.pdf). Ostrom, Elinor: ‘Governing the commons’ für empirische Forschung und ein hoffnungsvoller Blick auf die Commons weltweit und ‘Über die Krise hinaus’ (Doulos, Holloway & Nasioka) für ein Einblick in Commons-Strukturen in Griechenland des letzten Jahrzehnts.}}
Nine Do-It-Together measures against inflation and crisis
(100% DIY, no demands or politicians added)
Discussion post by Tinan (PS)
Inflation is spreading, even in prosperous Germany. Even the financial press is no longer asking if we’re heading for an economic crisis or not, but if it will be a pretty big or huge one. The power to deal with it can only come from below, from the people. We present 9 measures that we can implement directly, now, and only together. We do not need politicians! Let’s organize!
We are talking about measures that can be implemented directly. Self-organization that does not need politics to be appealing. Self-organization that often responds more successfully and flexibly to current problems than charitable political solutions ever can. As anarchists, we should support these structures where we can. And we should not get tired of showing that it is precisely these structures that point to the possibility of a different, solidary society, which has been and is so often shelved as utopia.
There are also other measures against the crisis: demonstrations, strikes and the direct resistance against capitalist predatory attacks (e.g. an eviction). These have their justification and success will consist in successful cooperation. Self-help on its own runs the risk of being appropriated or outright usurped by the state. It would not be the first time that the state confronts self-organized structures with the choice: either to accept a legal framework or to be exposed to repression. Thus, the alternative economy is ‚bought‘ at zero cost. Moreover, in the long run, even the best self-organized structure needs a framework for the future – people must believe in its success and persistence if they are going to invest time and resources into it.
There has always been a seed of mutual aid in society and it is sprouting right now. But for it to grow, it needs the right social framework. Capitalism is not that. Capitalism is the crisis, let’s overcome it!
A. Crédito – The self-organized currency
A self-administered currency as a proven remedy against inflation and global supply problems. When the Argentinean state was heading for insolvency in 2001 and the banks restricted the withdrawal of money, the Argentinians had no choice but to develop their own currency. The ‚crédito‘ was a coupon system based on an established barter network. All goods of daily use – and eventually even housing – could be purchased with it independently of the state. It was also the connecting thread between the self-organized factories and the consumers.
The idea of printing your own money has been around before (and we don’t mean the counterfeiters‘ workshop). In Ireland, during the bankers‘ strikes (1970), a coaster economy was created. And from ‚above‘ the idea has recently been applied in some Catalan municipalities… contradictions included.
B. Permanently free public transport
What can we do ourselves? At the end of the 60s, people marked their cars with a red dot for a free ride as a measure against fare increases – this is still possible today, especially in places where public transport is not well developed. By the way: according to a court ruling, it does not count as a „fraudulent service“ if we make it clear when boarding that we are traveling without a ticket. A temporary 9-euro ticket is all well and good, but the problem will not go away in three months!
C. Support your local support structure
People can be incredibly creative when it comes to helping each other in times of need. We see that all the time. Neighborhoods organize a barter network, spontaneous peoples kitchens spring up, people provide massive amounts of housing for refugees, etc. Here, too, the private is political, isn’t it …?
How do (allegedly) apolitical neighborhood help or even ‚volunteering‘ relate to the ‚political‘ understanding of mutual aid? How can a ‚one-issue‘ view of voluntary aid structures be overcome towards a integrated vision societal structures? How can a state appropriation of the aid structure be counteracted? How can the potential of a neighborhood aid structure for neighborhood self-organization be emphasized? These are questions that we as anarchists should ask ourselves.
D. Take it!
It’s time to take what belongs to us anyway. Be it houses, be it land, be it food or drugstore items. In times of need the understanding for ‚proletarian shopping‘ grows, but many intuitively check what we steal from the big fish, and what we actually steal from ’society‘. Need for ideas? Check out ‚Rouvikonas‘!
E. Don’t stop working?
Whether in Argentina in 2001 or Greece in 2012: In times of greatest need, the power of the workers sometimes is not to stop working, but to continue working, no matter what the cost. For example, when strikes are no longer effective due to massive factory closures and a miserable economic situation. Abandoned factories are the perfect foundation for a new beginning, self-managed work that gives us not only the opportunity to earn, but also – finally – to experience dignity in what we do.
F. Kitchen for All
What shall we say: cheap and good food for all. For everyone? Yes for everyone! Potentially on every street corner or with the neighbors across your street. By the way, here are some good recipe ideas and dumpster-diving fits in quite well!
G. Gabenzaun (free store, freebox & exchange networks)
Gabenzaun: an all-rounder, which makes bartering easy, and already well tested in Berlin during Coronatimes. In addition, there are already well-established exchange networks for some niches (baby clothes, BSR & Ebay giveaway market, etc.). But it’s also clear that no one can live on air and given away clothes alone. So why not go further? Swapping working time – one hour from the cleaning professional for one hour from the lawyer – would actually be fair!
However, we must admit – which also applies to other measures mentioned here – that only an alternative economy that encompasses all the necessities of life can be considered as a serious option. There is a danger in bartering ’superfluous‘ goods that vital necessities such as heating, daily food, health care and mobility are overlooked and one get’s comfy in a luxury sector of the economy. How do we manage to intertwine these nevertheless valuable initiatives with the big picture?
H. I don’t swap anymore!
Ugh! Exchanging thing is commodity society! We don’t exchange anymore, we give away, radically! Wow, also quite adventurous, but possible, as some projects in the Berlin area prove.
The same question, but on a more fundamental level, is being posed by a network of non-commercial projects. Since bartering is still caught in commodity society, things are just given away here, radically, without expecting anything in return! An experiment with other forms of ownership than private property, with other needs than those formed by a capitalist society and a different relation to work and working time than given by the wage-labor relationship. Wow, quite adventurous all-in-all, but possible, as some projects in the Berlin area prove: https://ich-tausch-nicht-mehr.net/. The propaganda of the deed as an answer to the above question? The example of a completely different society and the external effect that this has on the current one. That is a start.
I. Solidarity Economy
Here it all comes together: Exchange networks, solidarity-based medical support, food cooperatives, self-managed land projects, social centers, educational institutions and counseling. Decentralized, self-managed and collaborative, the commons are the help against the crisis and the way to a different society! Does this actually sound familiar to you? There are many such projects in our social fabric, remnants of past struggles! Build connection! Do-It-Together is worth it!