Nach den kraftvollen Kundgebungen des #jetzterstrecht-Bündnisses der letzten Wochen, war es am 11.07.2020 soweit: Als Teil des Bündnisses veranstalteten wir als ‚Perspektive Selbstverwaltung‘ die Kundgebung zum Thema ‚Selbstorganisation und soziale Kämpfe in Zeiten von Corona‘.
An diesem Samstag mit dabei waren:
- Sabot44
- Migrantifa
- Gemeinsam Kämpfen – Ortsgruppe Berlin
- Schlafplatz Orga
- Kiezkommune Neukölln
- Berliner Obdachlosenhilfe
Es war großartig die kämpferischen Beiträge dieser Gruppen zu hören und zu sehen, wie vorbeigehende Menschen stehenblieben, um zuzuhören, lautstark in die Forderungen mit einzufallen oder Gespräche miteinander zu beginnen. Ob vor dem riesigen Transpi mit der Aufschrift ‚#jetzterstrecht: Selbstorganisation!‘, im Teilnehmer*innen oder an unserem Broschürentisch begegneten Menschen einander, lernten sich kennen und tauschten sich über das Gehörte aus. So unterschiedlich die geschilderten Alltagskämpfe und Erfahrungen der Gruppen und Menschen auch sind, zeigte sich, wie wichtig das Thema ‚Selbstorganisation‘ vor, während und nach der Corona-Pandemie für unserer Gesellschaft war und ist. Die sprechenden Gruppen zeigten eindrücklich, wie sie ihren täglichen Widerstand gegen rassistische und patriarchale Gewalt, soziale Ausgrenzung, Illegalisierung und Wohnungslosigkeit gestalten. Es wurde deutlich, wie wichtig selbst gemachte solidarische Unterstützung ist, um eine Gesellschaft aufzubauen, in der die Bedürfnisse aller Menschen gleichberechtigt sind. Klar wurde jedoch auch, dass wir für eine solche Gesellschaft kämpfen müssen!
Wir möchten uns bei allen Gruppen für ihre aufrüttelnden Redebeiträge und ihre Teilnahme bedanken! Danke auch an alle, die dabei waren und die Kundgebung für mit uns möglich gemacht haben. Dies gilt besonders für die ‚Solidarischen Aktion Neukölln‘ (solidarischeaktion.blogsport.eu), die die Kundgebungsreihe als Ganzes ermöglicht hat.
Im Rahmen des Bündnisses war dies vorerst die letzte Kundgebung. Allerdings wird es am 25.07.2020 eine Kundgebung von ‚Gemeinschaftlicher Widerstand‚ am Hermannplatz geben.
Weitere Infos zum #jetzterstrecht-Bündnis findet ihr auf: jetzterstrecht.org
Hier folgt unserer Redebeitrag:
Nur eine Gesundheitskrise?
Oft wird so getan, als ob die Corona-Krise vor allem eine gesundheitliche Krise sei. Eine Krise, in der eine externe gesundheitliche Bedrohung unsere Gesellschaftsstruktur und unser soziales Verhalten unterbricht und stört. Dass, wenn wir diese gesundheitliche Bedrohung unter Kontrolle haben, z.B. durch einen Impfstoff, wir zurück in die „Normalität“ können.
Es sollte uns aber klar sein, dass die Folgen der Corona-Pandemie für unseren Alltag nicht nur so sind wie sie sind durch die Art der Krankheit. Eine Krankheit übrigens, von der für viele von uns eine reale Gefahr ausgeht, das soll nicht verneint werden. Aber die Folgen sind wie sie sind aufgrund der Struktur unserer Gesellschaft.Wie in jeder Krise werden ihre Folgen von den breiten Bevölkerungsschichten getragen. Bei der Wirtschaftskrise von 2008 sind hier in Deutschland und in vielen anderen europäischen Ländern ökonomische Maßnahmen, wie z.B. die Lockerung des Kündigungsschutzes oder die Etablierung flexiblerer Arbeitszeiten getroffen worden, die es jetzt ermöglichen, dass wir so schnell entlassen werden können. In der Zwischenzeit ist dieser Abbau unserer Rechte aber ein neuer Normalzustand geworden, an dem gut verdient wird. Seit dieser Wirtschaftskrise ist die Lücke zwischen Arm und Reich immer größer geworden. Die Reichsten dieser Erde haben ihren Reichtum im letzten Jahr um ein Viertel (!) wachsen sehen und das hat Auswirkungen auf unsere direkte Lebensumgebung. Private Unternehmer*innen können ganze Häuser aufkaufen, Mieter*innen rausschmeißen, Luxus-Autos kaufen. Und wo kommt das ganze Geld für die Porsches, Ferraris und Lamborghinis her? Das ist Geld, das verdient wurde durch unsere Arbeit, unsere Miete etc.
Also, zurück ins Jetzt. Was sind die Folgen der Corona-Pandemie für unseren Alltag?
Viele Leute sind entlassen worden, viele kleine Läden haben die Krise nicht überlebt. Es gibt insgesamt weniger Jobs, weil manche wirtschaftlichen Sektoren noch immer flach liegen. Es lastet ein größerer Druck auf Familien, weil die Schulen und Kitas noch immer nicht vollständig geöffnet sind. Eltern sind jetzt Eltern, Lehrer*innen und Arbeiter*innen gleichzeitig. Und wer den Job nicht verloren hat, muss in Kurzarbeit gehen oder sich größeren Gesundheitsrisiken aussetzen, hat höheren Arbeitsdruck, arbeitet umständlicher wegen schützender Maßnahmen. Und das in den Jobs, die unsere Gesellschaft materiell versorgen – es sind die Produktionsstellen, die Ernährungsindustrie, die Landwirtschaft, die Verteilungscenter, die Paketbot*innen, die Supermärkte, der Gesundheitssektor, die weiter laufen müssen, damit für unsere grundlegenden Bedürfnisse gersorgt ist. Und daran sollten wir uns erinnern, es sind oft die am schlechtesten bezahlten Jobs. Sie sind systemrelevant aber arm.
Eine andere Sache, die dabei nicht vergessen werden darf, ist die Schließung der Grenzen: Europa führt wie zuvor – aber jetzt verstärkt – ein selektives repressives Grenzregime durch. Bürger*innen der EU werden zurückgeholt, sonst darf niemand einreisen; Spargelpflücker*innen, Fleischer*innen dürfen aber gerne kommen, trotz aller Gesundheitsrisiken…
Bei allen wirtschatlichen und politischen Folgen dürfen wir auch diejenigen nicht vergessen, die selbst erkrankt sind oder waren oder gar einen geliebten Menschen verloren haben.
Bewertung
Was diese Krise, wie die meisten Krisen, aufzeigt, ist, dass wir in einer Klassengesellschaft leben. Der Staat war langsam mit seiner Reaktion und die Menschen waren aufeinander angewiesen, um die Folgen der Krise zu überstehen. Die lohnabhängige Klasse wird am schwersten getroffen und die Reichen versuchen alles zu tun, um zu verhindern, dass sie die Rechnung zahlen müssen. Großkonzerne wie Amazon oder VW stellen sich selbst gar als Samariter dar, die die Gesellschaft retten.
Sogenannte Hygiene-Demos haben auf die Maßnahmen des Staates reagiert. Abseits der politisch opportunistischen Rechten, die versucht den Unmut der Menschen zu vereinnahmen, ist die Unzufriedenheit und das Gefühl hintergangen zu werden bei Teilen der Teilnehmer*innen sehr nachvollziehbar. Die Analysen und die Antworten der Hygiene-Demos lassen aber sehr zu wünschen übrig.
Wir können zwar die Politiker*innen austauschen, aber wir können damit die Politik nicht ändern. Das liegt an der Struktur dieses Systems. Die einzige Lösung ist eine tiefgreifende Umstrukturierung, damit wir flexibler auf gesellschaftliche Herausforderungen reagieren können und die Lasten wirklich gemeinsam tragen.
Das beginnt mit Selbstorganisation. Erst wenn wir uns als Gesellschaft von unten selbst organisieren, können wir anfangen, unsere eigenen Interessen gegen die der Chefs, Ausbeuter*innen und Politiker*innen durchzusetzen. Und erst dann können wir die wichtigen Probleme unserer Zeit lösen, wie den Klimawandel, die Wohnungsfrage oder die Abschaffung ausbeuterischer Arbeit zugunsten einiger Weniger.
Was tun?
„Was ist Selbstorganisation eigentlich?“, kann man sich fragen.
Es ist keine leere Parole.Bespiele während der Corona-Pandemie sind die Hausflurzettel mit Hilfsangeboten, die Gabenzäune, womit plötzlich von Hilfe ausgeschlossene obdachlose Menschen versorgt wurden, Leute die gemeinsam angefangen haben Masken zu nähen und vieles andere mehr.
Es sind Beispiele von gegenseitiger Hilfe, die bewirkt, dass wir gemeinsam durch diese Krise kommen können. Sie zeigen, dass wir trotz der ganzen Vereinzelung und Konkurrenz untereinander zusammenarbeiten können und dass gegenseitige Solidarität noch immer tief in uns Menschen steckt.
In Selbstorganisation steckt viel Kraft. Sie macht, dass wir nicht länger abhängig sind und abwarten müssen was andere für uns tun.Selbstorganisation bedeutet, dass wir selber mitmachen können und von unseren eigenen Bedürfnissen ausgehen. Wenn wir das mit den richtigen Werten verbinden, kann dadurch eine ganz neue Welt entstehen.
Wenn wir diese Keimzelle einer neuen Gesellschaft nähren, ihr Sonne geben (und ein bisschen Regen), dann kann daraus eine ganz andere Gesellschaft erwachsen. Eine Gesellschaft, in der Platz ist für alle von uns, in der die Zerstörung der Natur ein Ende findet und in der wir alle gemeinsam von unserer Arbeit profitieren.
Dafür lasst uns kämpfen!