Wohnen

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Sicherer und angemessener Wohnraum ist ein wichtiges Grundbedürfnis für die meisten Menschen. Die Wohnung sollte ein Ort der Sicherheit und Erholung sein. Aktuell wird Wohnraum vor allem in größeren Städten aber zunehmend dafür genutzt, wirtschaftliche Gewinne zu erzielen. Dadurch kommt es zu immer weiter steigenden Mieten und Grundstückspreisen und zur Verdrängung von Menschen.{{Die folgende Analyse und das vorliegende Programm ist für viele Gegenden in Deutschland und auch über die Landesgrenzen hinaus gültig. Da die meisten von uns aber in Berlin leben, ist insbesondere die Analyse aus der Perspektive einer Gruppe geschrieben, die in einer Großstadt lebt. Die Situation in ländlichen Regionen kann sehr anders aussehen und bedarf einer weitergehenden Analyse.}}

Wie entsteht dieser Widerspruch? Um das zu beantworten, müssen wir einen Blick auf unser ökonomisches System werfen und die Eigentumsfrage stellen. Der Privatbesitz von Dingen, die zum Leben notwendig sind (wie Wohnraum), kann in einem ökonomischen System, das auf finanzielle Gewinne ausgerichtet ist, nur dazu führen, dass diese Dinge zur Verkaufsware werden. In der Praxis bedeutet das, dass der eigentliche Zweck des Gebrauchsgegenstands – in diesem Fall Wohnen – nur zweitrangig ist und dass die Gewinnerzielung im Mittelpunkt steht.

Immobilienunternehmen und Spekulant*innen kaufen gezielt Wohnungen, Häuser und Flächen auf, um diese gewinnbringend zu nutzen. Ihnen geht es nicht darum, dass alle Menschen guten und sicheren Wohnraum haben. Ihr Hauptinteresse gilt dem Profit. Auch die Stadtplanung hat oft den Fokus darauf, möglichst attraktive Standorte für Konzerne zu schaffen. So entstehen z.B. neue Baugebiete für Bürogebäude und Luxuswohnungen, Plätze werden privatisiert und Orte oder Stadtteile für Tourist*innen aufgewertet. Menschen, die nicht ins Straßenbild passen, werden aktiv vertrieben. Diese Art von Stadtplanung dient dazu, Kapital in Form von Tourist*innen, internationalen Unternehmen oder vielversprechenden Startups und deren gutverdienende Angestellte anzuziehen.

Aufseiten der Nutzer*innen gibt es drei verschiedene Gruppen: Zum Einen Haus- oder Wohnungseigentümer*innen, die ihren eigenen Wohnraum nicht nur nutzen, sondern auch besitzen; zum Anderen Mieter*innen, die keinen Wohnraum besitzen und für einen meist monatlichen Betrag an die Eigentümer*innen das Recht erhalten, dort zu wohnen; und als drittes Bewohner*innen von Lagern, Zwangseinrichtungen oder Heimen. Wenn auch in unterschiedlicher Form sind alle drei Gruppen durch den Wohnungsmarkt betroffen. Eigentümer*innen müssen sich zum Kauf oder Bau oft verschulden. Sie zahlen meist für 20 oder 30 Jahre einen Kredit bei einer Bank ab, der dazu führt, dass sie quasi zu Mieter*innen bei der Bank werden. So verloren viele Menschen in der Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2007 ihr Zuhause, weil sie die Kredite wegen geringerem Einkommen oder gestiegenen Zinsen nicht mehr bedienen konnten. Außerdem haben sie den Nachteil, dass sie mit dem Kauf einer Immobilie weniger mobil sind und ihren Wohnraum nur schwieriger an ihre Lebenssituation anpassen können. So leben aktuell immer mehr ältere Menschen, deren Kinder ausgezogen sind, in Häusern, die viel zu groß für sie sind.

In ländlichen Regionen überwiegt die Anzahl der Eigentümer*innen, in Städten dagegen leben in Deutschland überwiegend Mieter*innen.{{In europäischen Vergleich ist Deutschland das Land der Mieter*innen Nummer 1. Über die Hälfte der Bevölkerung lebte 2021 zur Miete, das ist der höchste Wert in der EU (Statistisches Bundesamt 2022). In den Städten ist das Verhältnis noch deutlicher: In Berlin bspw. Lebten 2019 76% der Einwohner*innen zur Miete (Statista 2023).}} Diese sind weitaus mehr Problemen ausgeliefert. Nicht nur zahlen sie ein Großteil ihres Einkommens{{Im Durchschnitt geben Mieter*innen in Deutschland ein Viertel ihres Einkommens für die Miete aus, in Berlin liegt die Quote sogar bei 30% (dpa 2023).}} an den*die Vermieter*in, zudem verfügen sie kaum über Entscheidungsmöglichkeiten über ihren Wohnraum. Dazu kommt, besonders in Großstädten, ein immer weiter steigender Verdrängungsdruck. Um höhere Profite erzielen zu können, werden besonders Haushalte mit niedrigem Einkommen immer weiter, vor allem aus den Innenstädten, verdrängt. Dazu kommt die Verdrängung aus dem Lebensstandard – das heißt, Mieter*innen sparen an anderen Stellen (können sich z.B. keinen Urlaub mehr leisten) oder müssen immer mehr arbeiten, um sich ihre Wohnung leisten zu können. Zuletzt gibt es eine ausschließende Verdrängung: Besonders die Neuvermietungspreise steigen so stark, dass einige Stadtteile für Menschen mit geringeren Einkommen nicht bezahlbar sind. Alle drei Arten führen dazu, dass besonders in Arbeiter*innenvierteln ganze Nachbarschaften verdrängt und Milieus zerstört werden.

Darunter zu leiden haben auch Menschen, die in Situationen sind, in denen sie noch rechtloser sind als Mieter*innen. Geflüchtete oder Obdachlose müssen oft in lagerähnlichen Zuständen leben, in denen sie kaum selbst über ihren Wohnraum entscheiden können.{{Hier als Beispiel eine Kritik am Zustand der Geflüchtetenunterkünfte in Berlin aus dem Jahr 2023: https://fluechtlingsrat-berlin.de/presseerklaerung/19-09-2023-beschwerden-aus-dem-lagerkomplex-auf-dem-ex-flughafen-tegel-bestaetigen-katastrophale-zustaende/.}} Hier sind meist Wohnbedingungen vorzufinden, die gesundheitsgefährdend sind, nicht langfristig sicher und oft auch die Freiheit der Bewohner*innen stark einschränken.

Viele Menschen erleben aus diesen Gründen eine starke Verunsicherung und permanenten Stress: Jederzeit kann eine Mieterhöhung, Modernisierungsmitteilung, undurchsichtige Betriebskostenabrechnung oder Verkaufsnachricht im Briefkasten liegen. Diese existenziellen Sorgen sind keine Einzelfälle, sondern betreffen einen großen Teil der Menschen in Städten bis in die Mittelschicht. Es handelt sich außerdem nicht um das unmoralische Fehlverhalten einzelner Unternehmen, sondern um ein strukturelles Problem, weil Wohnraum als eine Ware betrachtet wird. Und dies ist nicht erst seit Kurzem so.

Berlin und auch das Umland ist besonders von Verdrängung und steigenden Mieten betroffen. Noch bis vor wenigen Jahren war es eine der deutschen Städte mit besonders niedrigem Einkommen und günstigen Mieten. Im Prenzlauer Berg wurde jedoch schon kurz nach der Wende vom Staat mit der Aufwertung und Privatisierung ehemaliger DDR-Bestände begonnen. Die Folge war die erste große Welle der Verdrängung. Sie wurde weiter angetrieben durch die große Privatisierung kommunaler Wohnungen 2005 unter dem rot-roten Senat. Nach der Finanzkrise 2008 investierten immer mehr Aktienkonzerne in sichere Anlagen – das sogenannte Betongold entstand. Daraufhin wurde Verdrängung und Gentrifizierung{{Unter Gentrifizierung versteht man im Wesentlichen Veränderungeprozesse, die vier Merkmale bestimmen: Die Soziale Aufwertung eines Stadtteils, also den Austausch einer ärmeren Bewohner*innenschaft durch eine reichere; die bauliche Aufwertung (Sanierung, Wohnqualität, Umwandlung Miet- in Eigentumswohnungen etc.); die gewerbliche Aufwertung sowie die symbolische Aufwertung, also ein kultureller Wandel, der zu einer positiveren öffentlichen Wahrnehmung und Bewertung führt. (Vgl. z.B. Üblacker 2018) Dieser Prozess führt zu einer Verdrängung der lohnabhängigen, armen Klassen aus bestimmten Gebieten, in Berlin z.B. aus der Innenstadt.}} zum allübergreifenden Problem, das alle Stadtteile erreichte. So sind zwischen 2008 und 2018 die Neuvermietungspreise in ganz Europa nirgends schneller gestiegen als in Berlin, in Stadtteilen wie Neukölln waren es über 100 % Erhöhung. Allein 2022 stiegen die Preise um weitere 27 %, sodass Berlin heute die zweitteuersten Mieten nach München hat. All das geht einher mit massiver Verdrängung, die unsichtbar oder als sichtbare Gewalt wie bei Zwangsräumungen passiert. Folgen davon sind die Zerstörung des eigenen Umfelds und die Verschlechterung der Lebensumstände durch lange Wege. Bei Zwangsräumungen reichen die Folgen nicht selten bis hin zu psychischen Erkrankungen, Obdachlosigkeit und Suizid.

Als Lösung für die Wohnungskrise wird durch die Immobilienlobby und viele Politiker*innen meist der Neubau als Allheilmittel genannt. Aktuell profitieren davon vor allem die Bauunternehmen und die Investor*innen, die den Baugrund besitzen. Es entstehen jedoch sehr wenige Wohnungen für arme Menschen. Stattdessen werden exklusive Eigentumswohnungen und teure Eigenheime gebaut. So sind bspw. in Hamburg in den letzten Jahren mehr Wohnungen entstanden, als gebraucht werden. Durch die Eigentumsverhältnisse sind die Mietpreise trotzdem gestiegen. Dazu kommt, dass die Baubranche noch immer einen starken Einfluss auf den Klimawandel hat: Gerade durch die Verwendung von Zement wird viel CO² freigesetzt. Auch die Arbeitsbedingungen auf den Baustellen sind oft besonders schlecht. Gleichzeitig werden durch Verdichtungsprojekte in den Städten freie und kostenlos zugängliche Flächen, die zum Durchatmen, als Gemeinschaftsgärten oder Orte des Zusammenlebens gebraucht werden, zerstört oder bekommen einen gewerblichen Zweck.

Umso wichtiger ist es, ganz grundlegend die Frage nach Eigentum und Miete zu stellen. Wir müssen an der Wurzel ansetzen: Um die Wohnungsfrage zu lösen, müssen wir das Eigentum an Wohnraum überwinden. Die Häuser und das Land gehören in die kollektiven Hände derer, die sie nutzen. Sie müssen nach Bedarf verteilt werden, nicht danach, wer sie durch Glück und Erbe besitzt. Sie gehören aber auch nicht in die Hand des Staates, der in der Vergangenheit oft genug gezeigt hat, dass er eine Gefahr für die Bedürfnisse der Mieter*innen darstellt. So haben schon viele Kämpfe von Mieter*innen erreicht, dass Häuser in kommunalen Besitz kamen. Diese Form des Eigentums und die zentrale Bündelung von Macht in den Händen staatlicher Behörden ist jedoch anfällig für Machtübernahmen: So wurden, wie in Berlin, kommunale Häuser unter einer Folgeregierung häufig wieder privatisiert. Außerdem müssen die Bewohner*innen und ihre direkten Nachbar*innen über den Wohnraum und das drumherum entscheiden können. Sie sind es, die ihn nutzen und brauchen, nicht Politiker*innen oder Investor*innen. Deshalb kämpfen wir für die Selbstverwaltung des Wohnraums.

Diese Forderung nach einer Selbstverwaltung durch die Bewohnenden ist nicht neu. Bereits im 19. Jahrhundert (Pariser Commune 1871) waren sich Menschen der Ungerechtigkeit von Mietzahlung bewusst. Sie fragten sich:

„Wer arbeitet, um die Wohnungen zu errichten? Warum ist eine Wohnung in bestimmten Gebieten einer Stadt teurer als in anderen? Warum können sich nur wirtschaftlich reiche Menschen eine Wohnung in attraktiven Gegenden mit einer gut ausgebauten Infrastruktur leisten? Warum sollte eine einzige Person eine Wohnung mit fünf Zimmern bewohnen, wenn eine 5-köpfige Familie in einer schimmeligen Einzimmer-Kellerwohnung leben muss?“

Eben diese Fragen wollen wir zurück in das allgemeine Bewusstsein holen – und die Selbstverwaltung unserer Häuser, Kieze und Städte erkämpfen.

1. Wo wollen wir langfristig hin?

1.1 Grundsätze (Eigentum und Besitz)

    • A. Wohnen ist ein Grundbedürfnis. Es ist wichtig, dass dieses Grundbedürfnis erfüllt wird. Es darf nicht möglich sein, mit Wohnraum ökonomische Gewinne zu machen. Deshalb muss das Eigentum an Wohnraum abgeschafft werden.
    • B. Wohnungslosigkeit ist somit ein kollektives Versagen. Wohnungs- und Obdachlosigkeit sind nicht nötig. Es gäbe genügend Wohnraum, würde dieser anders verteilt und bedingungslos zur Verfügung gestellt werden.
    • C. Der Gebrauchswert ‚Wohnraum‘ ist zentral, es gibt keinen Eigentumsanspruch daran. Das heißt, wer die Wohnung zum Wohnen oder das Objekt zum Arbeiten nutzt, hat einen Anspruch darauf. Die Angemessenheit richtet sich nach dem Bedarf der Bewohner*innen. Wohnraum wird nicht mehr automatisch vererbt.
    • D. Alle (städtisch/ländlich) Außenflächen sind im Gemeinbesitz. Je nach Nutzung sind sie öffentlich oder für eine bestimmte Zielgruppe begehbar. So soll es zum Beispiel Kollektivgärten geben, in denen eine Gruppe an Menschen Gemüse und Obst anbaut, Draußenkindergärten, aber auch genug öffentliche Grünanlagen. Besonders in der Stadt sind diese ein wertvoller Teil des Alltags: Entspannung, Bewegung, landwirtschaftliche Nutzung. Sie sollen allen Menschen offen stehen.

1.2. Selbstverwaltung

Vom eigenen Haus bis zur kommunalen Selbstverwaltung

    • A. Die Selbstverwaltung wird von unten nach oben aufgebaut. Das heißt, wir organisieren uns in kleinen Gemeinschaften, zum Beispiel in Hausgemeinschaften, und organisieren uns rätedemokratisch im Kiez, auf Stadtebene (kommunale Ebene) und darüber hinaus.
    • B. Alle Entscheidungen, die die Bewohner*innen eines Hauses (und nur sie) betreffen, werden im Haus getroffen. Gemeint sind hier u.a. Form des Zusammenlebens und der Hausverwaltung, bauliche Veränderungen und Renovierungen.
    • C. Die kommunale Verwaltung kümmert sich um die Verteilung des Wohnraumes und die Verwaltung der öffentlichen Flächen. Die kommunale Verwaltung wird getragen von den Nachbarschaftsräten und Hausgemeinschaften, in denen die Bewohner*innen organisiert sind (siehe Gerechtigkeitskapitel des Programms). Sie ist zuständig für das Ausgleichen unterschiedlicher lokaler Gegebenheiten (z.B. Lage, Infrastruktur, Zustand der Gebäude).
    • D. Die Selbstverwaltung der Bewohner*innen kann ergänzt werden durch Strukturen auf kommunaler Ebene, die bei Umbau, Wartung, Reperatur etc. beraten und unterstützen.

Instandhaltung und Neubau

    • E. Heruntergewirtschaftete Häuser werden, sofern es geht, instandgesetzt. Statt Häuser abzureißen, wenn sie nicht mehr rentabel sind, sollen Häuser nachhaltig instandgesetzt werden. Kriterien für die Entscheidung über Abriss oder Renovierung sind der Gebrauchswert für die Nachbarschaft und die ökologische Nutzungsberechnung.
    • F. Häuser und Wohnungen sollen energetisch modernisiert werden. Das heißt, dass die Häuser nach nachhaltigen Kriterien saniert werden. Die Energieversorgung wird auf ökologische Energien umgestellt, die Häuser so gut es geht energieneutral gedämmt.
    • G. Über den Neubau von Gebäuden wird auf der kommunalen Verwaltungsebene entschieden. Die Kommunalräte entscheiden nach sozialen und ökologischen Faktoren über Neubauten. Der Bestand an Freiflächen wird in die Entscheidung miteinbezogen (wie viel und in welcher Lage gibt es noch Freiflächen, Biodiversität der Umgebung, Klimaanpassung nach den Kriterien Abwasser/Temperatur).
    • H. Die Architektur der Gebäude und die Stadtplanung insgesamt ermöglicht ein gemeinschaftliches Zusammenleben. Das heißt, dass für verschiedene Lebensformen Platz geschaffen werden soll (Kommunen, Wohngemeinschaften, Einzelwohnungen usw.).

Wohnraumverteilung

    • I. Ursprüngliche Umverteilung: Je nach Bedarf wird der Wohnraum umverteilt bzw. werden Wohnhäuser umgebaut. Zu große Wohnungen werden aufgeteilt und Menschen, die in zu beengten Verhältnissen (oder ohne Wohnung) gelebt haben, bekommen einen größeren Wohnraum zugesprochen. Die Angestellten der ehemaligen Wohnungsunternehmen (Instandhaltung, Wartung, Verwaltung etc.) können neue, gemeinschaftlich organisierte Betriebe formen. Sie setzen ihre Arbeit fort und können ihr Wissen und ihre Erfahrung bei der Umverteilung der Wohnungen einsetzen. Die Betriebe sind jedoch nicht mehr gewinnorientiert. Diese Betriebe sind gemeinsam mit den Bewohner*innen und Kommunen für die Instandhaltung und eventuellen Neubau verantwortlich.
    • J. Alle Wohnungen befinden sich in einem kollektiven Kreislaufsystem. Sie werden nach dem wechselnden Bedarf der Menschen und Wohngemeinschaften getauscht und umverteilt. Bei der Verteilung von Wohnraum wird explizit auf Kriterien wie Barrierefreiheit, Assistenzbedarf und Art des Zusammenlebens (Kommune, Wohngemeinschaft, Familie, Alleinwohnend) geachtet.
    • K. Die Koordination und Organisation der Wohnraumverteilung liegt im Verantwortungsbereich der jeweiligen Kommune. Die Kommune hat den Überblick über die zur Verfügung stehenden Wohnungen, die Nachfrage und die jeweiligen Bedürfnisse der Wohnungssuchenden. Sie hat eine ‚Wissensfunktion‘ (Sammeln von Informationen) und außerdem eine ausführende Funktion.
    • L. Schutzräume und assistierte Wohnformen sind leicht zugänglich, ohne lange bürokratische Prozedere. Gemeint sind hier sichere Wohnungen für von Gewalt und Diskriminierung betroffene Menschen und Formen des assistierten Wohnens (Einzelfallhilfen, Altersunterstützungen, betreute Jugend-WGs usw.).
    • M. Das Angebot von Wohnungen wird vergrößert, indem:
      • M.1 Leerstehende Wohnungen und Häuser nutzbar gemacht werden.
      • M.2 Ferienwohnungen (Airbnb & Co.) in Wohnungen umgewandelt werden.
      • M.3 Wohnraum besser verteilt wird und große Wohnungen, in denen wenig Menschen leben, bedarfsorientiert von mehr Menschen genutzt bzw. baulich verändert werden. Bei der Verteilung von Wohnungen wird explizit auf Kriterien wie Barrierefreiheit, Assistenzbedarf und Art des Zusammenlebens (Kommune, Wohngemeinschaft, Familie, Alleinwohnend) geachtet.

Wohnkonzepte

    • N. Unterschiedliche Wohnformen werden durch neue architektonische Ansätze ermöglicht (Mehrgenerationshäuser, Alter-WGs, alternative Familienmodelle, Einzelwohnungen etc.).
    • O. Bestehende Wohnungen müssen möglichst barrierefrei gemacht werden. Ist dies nicht möglich, sollten zumindest die Wohnungen im Erdgeschoss barrierefrei gemacht werden.
    • P. Freiflächen und Grünflächen werden geschützt. Konzepte der städtischen Landwirtschaft werden weiter entwickelt und zugänglich gemacht. Versiegelte Flächen sollen effizienter genutzt werden (z.B. Flachbauten erhöhen, Mehrparteienhäuser statt Einfamilienhäusern) oder entsiegelt werden.

2. Übergangsphase

Über direkte Mietkämpfe eine Organisierung schaffen, die immer weiter wächst – um schließlich die Häuser zu übernehmen.

    • A. Wohnraum darf keine Ware sein: Um die Probleme auf dem Wohnungsmarkt zu lösen, ist langfristig nur die Abschaffung des profitorientierten Wohnungsmarktes eine Lösung.
    • B. Das heißt Vergesellschaftung: Sprich die Häuser in die Hand der Gesellschaft oder ihrer Bewohner*innen zu bringen. Doch wie kommen wir dahin?

2.1 Wege zur Vergesellschaftung von unten

    • A. Die Grenzen staatlicher Verwaltung: Warum Vergesellschaftung von unten und keine staatliche Verwaltung vom Wohnungsmarkt? Die kommunale Verwaltung von Wohnraum bringt große Probleme mit sich, wie z.B. eine politische Abhängigkeit von der jeweiligen Regierung – das zeigen alleine schon die landeseigenen Berliner Immobilienkonzerne. Hier herrscht trotz (oder auch wegen) des staatlichen Eigentums seit Jahren ein Verwertungsdruck und Mieter*innen werden anonym verwaltet. Deshalb braucht es eine Enteignung von unten, durch die Mieter*innen selbst und in gesellschaftliche, sprich Mieter*innenhand.
    • B. Basisorganisation: Anarchokommunistische und anarchosyndikalistische Ansätze aus der Welt der Arbeitskämpfe lassen sich zum Teil auch auf den Bereich Wohnen übertragen. Als Grundlage zum Aufbau von Gegenmacht braucht es eine Basisorganisierung auf mehreren Ebenen:
      • B.1: in den Häusern (z.B. über Hausräte)
      • B.2: eine Vernetzung nach Eigentümer*innen oder nach Stadtvierteln (basierend auf schon existierenden Organisierungen).
      • B.3: ein Zusammenschluss der Vernetzungen in einer Mieter*innengewerkschaft oder einer ähnlichen Organisation
    • C. Selbstverwaltung vorleben und Kämpfe intensivieren: Durch die Organisation auf der kleinsten Ebene im Haus können schon viele Erfahrungen von Selbstverwaltung durch die Bewohner*innen gemacht werden. Durch zunehmende Gegenmacht werden schrittweise Veränderungen möglich. Auf Kämpfe, die eine gemeinsame Gestaltung des Hinterhofs ermöglichen, können Kämpfe gegen hohe Nebenkosten folgen, bis hin zu kollektiven Mietbegrenzungen durch den Zusammenschluss von vielen Häusern. So verändert sich das Machtverhältnis gegenüber Vermieter*innen und kollektive Gegenmacht wird erleb- und spürbar. Gesichert und festgehalten werden könnten diese z.B. über Tarifverträge mit den Eigentümer*innen. Offen ist, wie sich das Kapital und der Staat verhalten wird, wenn wir unsere Kämpfe intensivieren. Was passiert im Zuge einer Kapitalflucht? Wie kann womöglich der Staat im Zuge einer Zuspitzung mit einer Verstaatlichung die Selbstverwaltung verunmöglichen?
    • D. Als ein Meilenstein können Mietstreiks als kollektives Mittel eingesetzt werden. Dabei verweigern Mieter*innen in einem Konflikt (z.B. über eine Mieterhöhung) die Mietzahlung für einen bestimmten Zeitraum. So üben sie auf einem neuen Niveau Druck auf die Eigentümer*innen aus. Als Grundlage dafür braucht es eine hohe Beteiligung, stabile Organisierung und womöglich auch einen rechtlichen Schutzrahmen.
    • E. Enteignung: In einer revolutionären Situation oder einer Zuspitzung des Konflikts bei einer Hausverwaltung oder in einem Stadtteil, und wenn die Bewegung die notwendige Stärke und Verankerung besitzt, können die Mieter*innen ihr Haus übernehmen. Die Frage bleibt offen, welche Auswirkungen eine Enteignung solch großer Kapitalbestände auf andere Bereiche hat und wie der Staat und das Kapital darauf reagieren werden.
      • E.1 Menschen, die mehrere Wohnungen als Eigentum haben, werden diese Wohnungen abgenommen. Auf diese Weise wird verhindert, dass Menschen ihr Einkommen aus den Mietzahlungen anderer Menschen bekommen. Wohnungen werden dem Kreislauf aus Verwertung und Profit entzogen. Dies bezieht sich auf Immobilienunternehmen, aber auch auf individuelle Eigentümer*innen mehrerer Wohnungen.
      • E.2 Menschen, die in einer eigenen Eigentumswohnung leben, verlieren nicht das Recht und die Sicherheit in dieser zu wohnen (‚Besitz‘). Sie verlieren nur den Status des Eigentums. Die bestehenden Schulden (Hypotheken) werden komplett erlassen. Eine Frage die bleibt ist, wie Nutzungsrechte identifiziert und bestimmt werden.

2.2 Struktur der Selbstverwaltung

    • A. Basis: Durch die Organisierung in unrevolutionären Zeiten gibt es eine Basis, die die Selbstverwaltung unterstützt. Die Einbindung aller Bewohner*innen wird angestrebt.
    • B. Organe der Selbstverwaltung: Hausräte, Vernetzungen nach Eigentümer*innen und/oder eine Mieter*innengewerkschaft übernehmen die Selbstverwaltung. Sie kümmern sich um Instandhaltung, Pflege und Vergabe des Wohnraums. Die Verteilung richtet sich nach dem Bedarf der Bewohner*innen.
    • C. Kommune: In Häusern oder Vierteln ohne vorherige Organisierung kann die Kommune die Aufgabe der Verwaltung mitübernehmen. Ziel ist es, Schritt für Schritt eine Wohnraumverteilung wie im gleichnahmen Kapitel (1.2 I-M) zu etablieren. Das Wissen der Angestellten der Hausverwaltungen soll weiter genutzt werden, ihre Einbindung in die Selbstverwaltung ist sinnvoll.

3. Was können wir kurzfristig tun?

3.1 Gegenmacht aufbauen

    • A. Basisorganisierungen aufbauen, wie z.B. Mieter*innengewerkschaften und Stadtteilvernetzungen.
    • B. Soziale Einfügung in bestehende Kämpfe: Konkrete Mietkämpfe führen und gewinnen, um dabei Gegenmacht aufzubauen, z.B. durch (Teil-)Mietstreiks für Reparaturen oder gegen Mieterhöhungen. Die Wahl der Mittel muss unter Berücksichtigung der Lebensumstände der Bewohner*innen erfolgen.
    • C. Kämpfe um Enteignung von Immobilienunternehmen und den Erlass von bestehenden Hypothekenschulden unterstützen. Eigentumswohnungen in kollektives Eigentum umwandeln.

3.2 Reformen

    • A. Sofortiger Stopp der Zerstörung von Wohnraum und Orten des sozialen Lebens; Stopp der Verdrängung von Bewohner*innen.
      • A.1 Alle Zwangsräumungen stoppen.
      • A.2 Entkriminalisierung und Erhalt aller Besetzungen von Gewerberäumen, Wohnungen, Häusern und Flächen.
      • A.3 Unkomplizierte und schnelle Umsetzung ausstehender und verschleppter Instandsetzungen.
      • A.4 Bedrohte soziale Infrastruktur und soziale Zentren erhalten bezahlbare Mieten oder Mietfreiheit.
    • B. Wohnraum und Nutzflächen dem Markt entziehen.
      • B.1 Umwandlungen in Eigentumswohnungen, den Neubau von Luxusbauten, Luxusmodernisierungen sowie Privatisierungen städtischer Flächen und Gebäude sofort stoppen.
      • B.2 Laufende Bauvorhaben und leerstehende Gebäude in unbefristeten sozialen Wohnungsbau umwandeln.
      • B.3 Immobilienunternehmen enteigenen und Überführung in kollektive Verwaltung
      • B.4 Wohnraum und soziale Infrastruktur hat Priorität: Wenn Wohnraummangel herrscht, Umwandlung von Airbnb oder ähnlichen Ferienwohnungen, Hotels, Büroräumen etc.
      • B.5 Wirksamer und unbefristeter Mietendeckel mit drastischer Senkung der aktuellen Bestandsmieten.
      • B.6 Sofortige Bereitstellung von Wohnungen und unterstützender Infrastruktur für wohnungs- und obdachlose Menschen. Dies gilt bedingungslos und z.B. nach dem HousingFirst-Prinzip.{{Das housing first Prinzip ist auch in linken Kreisen nicht unumstritten. Für eine weitere Auseinandersetzung siehe z.B. (Willse 2010).}}
      • B.7 Mieterleichterungen bis -erlassungen für soziale und selbstverwaltete kulturelle Infrastruktur (Kitas, Beratungsstellen, geschützte Wohnungen, Museen, Jugendklubs etc.).
      • B.8 Strukturen wie das Mietshäusersyndikat stärken, die Wohnraum dem Markt entziehen.
    • C. Kollektive Mietrechte stärken
      • C.1 Rechtliche Anerkennung von Hausgemeinschaften gegenüber Vermieter*innen, kollektive Rechte für Hausgemeinschaften vor Gerichten. Wenn alle das gleiche Problem teilen, wie z.B. ein defekter Fahrstuhl, müssen Hausgemeinschaften als Kollektiv klagen und die Miete mindern können.
      • C.2 Mitbestimmungsrecht für Hausgemeinschaften bei Renovierungen, Umbauten, Mieterhöhungen etc.
      • C.3 Rechtliche Anerkennung von Tarifmietverträgen für Gewerkschaftsmitglieder.
      • C.4 Legalisierung von Mietstreiks.

Literaturempfehlungen

Im Text angegebene Quellen

    • dpa (2023): Bei neuen Mietverträgen: Wohnkosten verschlingen in Berlin durchschnittlich ein Drittel der Einkommen, Der Tagesspiegel Online, 2023.
    • Statista (2023): Mietwohnungs- und Eigentumsquoten nach Städten, Statista, [online] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1245932/umfrage/anteil-der-miet-und-eigentumswohnungen-in-deutschen-staedten/ 1.
    • Statistisches Bundesamt (2022): EU-Vergleich: Deutschland Mieterland Nummer 1 – Statistisches Bundesamt, [online] https://www.destatis.de/Europa/DE/Thema/Bevoelkerung-Arbeit-Soziales/Soziales-Lebensbedingungen/Mieteranteil.html 1.
    • Üblacker, Jan (2018): Gentrifizierungsforschung in Deutschland, Budrich UniPress, doi: 10.3224/86388783.
    • Willse, Craig (2010): Neo-liberal biopolitics and the invention of chronic homelessness, in: Economy and Society, Jg. 39, Nr. 2, S. 155–184, doi: 10.1080/03085141003620139.

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