Solidarität ist mehr als (nur) Hände waschen

Die Coronakrise ist ein krasser Einschnitt in das Leben vieler Menschen. Mit Entsetzen schauen wir auf den Rassismus und Klassismus, der sich bei der Durchsetzung der Maßnahmen zeigt, aber auch mit Hoffnung auf die zahlreichen solidarischen, selbstorganisierten Ansätze, die sich überall am organisieren sind.

Gemeinsam mit anderen Berliner Gruppen stellen wir konkrete Forderungen. (https://www.jetzterstrecht.org)

Als anarchistische Gruppe denken wir, dass es wichtig ist diese zu stellen, aber auch, dass wir deren Umsetzung selber in die Hand nehmen müssen. Denn:

Wir können uns nur selbst befreien.

Solidarität ist mehr als (nur) Hände waschen

Seit März 2020 ist die Corona-Pandemie in der politischen Realität in Deutschland angekommen. Deutlicher denn je zeigen sich Missstände, die seit Jahren politisch gefördert wurden, wie der staatlich geförderte Wettbewerb im Gesundheitssystem, die Prekarisierung von Arbeit und eine mörderische Asyl- und Migrationspolitik.

Die Bundesregierung hat bei den Unternehmen schnell agiert: Als Erstes wurde durch die Erleichterung von Krediten und Kurzarbeitsgeld Liquidität bereit gestellt. Nur mit Verzögerung wurden Soforthilfen für Solo-Selbstständige und der Abbau von bürokratischen Hürden für Leistungsbeziehende beschlossen. Gerade für uns, die wegen niedrigem Lohn, hoher Miete oder Arbeitslosigkeit prekär oder arm leben, reicht das noch nicht, um die Corona-Krise zu überstehen! Zudem sind von diesen Hilfen alle Menschen ausgeschlossen, die über keinen legalen Aufenthaltsstatus verfügen.

Wir, die diesen Text schreiben, tun uns im Alltag schon seit Jahren zusammen und unterstützen uns gegenseitig bei akuten Problemen. Viele der Missstände, die wir schon seit langem aufzeigen, sind nun in Zeiten von Corona noch drängender denn je. Als ersten Schritt haben wir daher ganz konkrete, kurzfristig umsetzbare Forderungen an die politischen Entscheidungsträger*innen aller Ebenen formuliert, die dagegen Abhilfe schaffen sollen.

Außerdem haben wir Ideen gesammelt, wie wir alle selbst solidarische Aktionen durchführen und bestehenden Gruppen und Bündnisse unterstützen können. Setzt euch jetzt für eure Belange ein — und die eurer Nachbar*innen und Kolleg*innen. Wir freuen uns über die Solidarität, die sich gerade in vielen Nachbarschaften zeigt, wenn es um Einkäufe erledigen oder Kinderbetreuung geht. Aber diese Solidarität ist nur die mindestnotwendige, um unseren Alltag aufrechtzuerhalten und uns grundlegend gegenseitig zu versorgen. Geht da nicht noch mehr?

Mit Sorge blicken wir auch in die Zeit nach der Pandemie. Dass uns eine gravierende Wirtschaftskrise bevorsteht, scheint unumstritten. Wie können wir der Verschlimmerung der bereits überall in Europa sichtbaren autoritären Tendenzen entgegenwirken? Wie werden wir einfordern, dass alle repressiven Maßnahmen, die die Regierungen zum Zweck der Bekämpfung der Pandemie eingeführt haben, wieder rückgängig gemacht werden? Wie können wir verhindern, dass diese Wirtschaftskrise erneut — wie schon 2008 — auf dem Rücken der Arbeiter*innen und Rentner*innen ausgetragen wird? Welche Folgen diese Sparpolitik nach der Finanzkrise 2008 hat, können wir aktuell in Italien und Spanien sehen: Dort sind die kaputtgesparten Gesundheitssysteme angesichts der Corona-Pandemie kollabiert. Es gilt, mehr zu tun, als sich die (eigenen) Hände zu waschen, während der jetzigen und aller nachfolgenden „Krisen“ des Kapitalismus. Setzt Euch für Eure eigenen Belange ein. Zusammen bleiben wir kämpferisch!

1. Jetzt erst recht: Gesundheitssystem für alle jenseits von Profit.

Ganz akut fordern wir:

2. Jetzt erst recht: Niemand soll in Armut leben wirtschaftliche Absicherung für alle

Ganz akut fordern wir:

  • Alle Forderungen von Tacheles e.V. umsetzen (z.B. Uneingeschränkter Zugang zu Sozialleistungen unabhängig vom Aufenthaltstatus und der Sicherung des Lebensunterhalts). Forderungen zum Nachlesen: https://tacheles-sozialhilfe.de/startseite/aktuelles/d/n/2626/
  • Bedingungslose und unbürokratische Nothilfe für Solo-Selbstständige
  • Weiterbewilligung von Sozialleistungen ohne Erscheinen beim Amt und Aufschlag für Mehrbedarf
  • Voller Einkommensersatz für Minijober*innen
  • Erhebung der Vermögenssteuer

3. Jetzt erst recht: Sichere Unterkünfte für alle.

Ganz akut fordern wir:

  • Mieten jetzt stoppen und erlassen
  • Hotels, Ferienwohnungen und leerstehende Häuser für sicheren Wohnraum vergesellschaften statt Zwangsquarantäne in Lagern (z. B. für Wohnungslose, Geflüchtete aus Sammelunterkünften und Betroffene von häuslicher Gewalt)
  • Enteignung großer Wohnungsunternehmen
  • Sichere und langfristige Finanzierung von Beratungseinrichtungen zu häuslicher Gewalt

4. Jetzt erst recht: Schutz für Menschen auf der Flucht.

Ganz akut fordern wir:

  • Sofortiger Stopp aller Abschiebungen, Öffnung aller Abschiebeknäste sowie Asyl und unbefristeter Aufenthalt für alle
  • Sofortige Evakuierung aller Geflüchteter an der griechisch-türkischen Grenze, auf den ägäischen Inseln und an den EU-Außengrenzen
  • EU-Türkei-Deal stoppen
  • Zugang zu aktuellen und verlässlichen Informationen in vielen Sprachen

5. Jetzt erst recht: Schluss mit der Ausbeutung von Arbeitenden.

Ganz akut fordern wir:

  • Alle coronabedingten Kündigungen zurücknehmen bzw. stoppen!
  • Versammlungsrecht für Streikende schützen
  • Sofortiges Aussetzen nicht notwendiger Arbeit in Betrieben und Privathaushalten bei voller Lohnfortzahlung
  • Gefahrenzulage und strengere Schutzmaßnahmen für alle, die in wesentlichen Produktionsbereichen (Logistik, Einzelhandel usw.) weiterhin arbeiten müssen
  • Zugang zu Kurzarbeitsgeld als 100% des Nettolohns ohne vorherigen Abbau von Urlaubstagen und Überstunden

6. Jetzt erst recht: Der Repression entgegentreten – für ein solidarisches Miteinander.

Ganz akut fordern wir:

  • Sicherheitsmaßnahmen auf die sinnvollen reduzieren und nur solange aufrecht erhalten, wie die akute Krise tatsächlich andauert (Bewegungs-, Versammlungsfreiheit baldmöglich wieder garantieren, Überwachungsmaßnahmen einstellen)
  • Amnestien und Begnadigungen, um Ansteckung in Gefängnissen zu verhindern
  • Weg mit der Ausweispflicht!

Solidarität als Gegenmittel

Diese Forderungen richten sich zum großen Teil an die Regierung und an Chef*innen. Das ist auch gut so, denn diese sind verantwortlich: nicht für Corona, sondern für das Gesellschaftssytem, in dem wir leben und damit auch dafür, wer die Hauptlast dieser Krise jetzt schon trägt und in Zukunft tragen wird. Uns ist allerdings klar, dass wir uns nicht auf sie verlassen können. Neben der direkten, kollektiven Solidarität wie der Essensversorgung von Menschen in Quarantäne und aus Risikogruppen, wird es wichtig sein, dass wir auch darüber hinaus zusammen stehen und uns nicht teilen und vereinzeln lassen.

Unsere Forderungen können wir nur durchsetzen, wenn sie von vielen Stimmen getragen werden. Also lasst euch nicht darauf ein, auf streikende Pfleger*innen zu schimpfen, nur weil es den Gesundheitskonzernen nicht passt, ihnen den Lohn zu zahlen, der ihnen zusteht. Lasst euch nicht täuschen von den Konzernchefs, die nun um Steuergelder betteln und zeitgleich tausenden Beschäftigten kündigen. Lasst euch nicht einlullen von den Millonär*innen dieser Welt, die euch aus ihrer Villa heraus erzählen, dass nun alle gleich sind.

Stattdessen: rückt zusammen und organisiert euch dort, wo ihr seid (und mit dem gegebenen Sicherheitsabstand). Verbreitet diese Forderungen auf allen Wegen, solidarisiert euch mit denen, die arbeiten müssen, redet mit euren Nachbar*innen und schaut, wie ihr gemeinsam euren Vermieter dazu bringt, dass ihr keine Miete mehr zahlt, helft euch beim Ausfüllen der Jobcenteranträge, lasst niemanden alleine in diesen Zeiten der Isolation.
Gemeinsam werden wir das schaffen.

Hier findet Ihr konkrete Ideen und Kontakt zu Gruppen.

Wenn Du selbst Stress hast mit der Wohnung, Ämtern oder bei der Arbeit, dann melde dich bei einer der Gruppen unten oder trau dich, deinen Freund*innen und Nachbar*innen davon zu erzählen. Denn: Zusammen haben wir mehr Ideen und schaffen mehr!

Unterstützung in der Nachbarschaft und unter Freund*innen:

  • Kommt in Kontakt mit Nachbar*innen, indem ihr z.B. einen Chat aufbaut. Vergesst dabei nicht die Menschen, für die digitale Kommunikation eine Hürde darstellt: mit Papier und Stift an der Wohnungstür (und Desinfektionsmittel!) könnt ihr euch auch analog Nachrichten hinterlassen oder hängt Hausflurzettel mit solidarischen Angeboten und Kontaktmöglichkeit aus
  • Richtet eine Telefonhotline ein, die zu bestimmten Uhrzeiten erreichbar ist, um Bedarf und Angebot von nachbarschaftlicher Unterstützung zu vermitteln. Nach Hilfe zu fragen fällt vielen von uns schwer — eine zwischengeschaltete Vermittlung kann diese Hemmschwellen senken — und ist auch für Menschen erreichbar, die kein Telegram etc. nutzen.
  • Wenn ihr oder Leute aus eurem Haus ihre Miete nicht bezahlen können, versucht einen Fonds zu organisieren oder schreibt gemeinsam einen Brief an eure*n Vermieter*in, in dem ihr die Situation erklärt.
  • Versorgt gemeinsam Menschen in Quarantäne und aus Risikogruppen mit Lebensmitteln, z.B. über Nachbarschaftsstrukturen
  • Tauscht euch mit euren Freund*innen und Bekannten aus, ob jemand Geldprobleme hat und versucht, gemeinsam eine Lösung zu finden. Wenn es für euch möglich ist, gebt Geld an einen Unterstützungsfond für Menschen, die keine staatlichen Hilfen bekommen, z.B. hier https://t.me/joinchat/AAAAAEl2w7DkWrBm1PN3BA oinchat/AAAAAEl2w7DkWrBm1PN3BA  oder an den Notfallfond für Frauen* und Queers in Berlin von Karada House (https://www.betterplace.me/berlinrelief)

Stress mit Arbeit, Ämtern und Vermieter*innen

Protestieren trotz Corona?

  • Veranstaltet Lärmproteste mit Kochtöpfen aus den Fenstern eurer Wohnung,
  • Lasst euch im Betrieb kollektiv Krankschreiben — das geht jetzt ganz einfach per Telefon für ganze zwei Wochen
  • Organisiert einen Auto- oder Fahrradkorso!
  • Versammlungen und Demos können nach wie vor stattfinden — mit 2 Meter Sicherheitsabstand und Atemmaske (wie man diese ganz einfach selbst herstellen kann: https://wecanstopcorona.wixsite.com/website)
  • Hängt Transparente aus den Fenstern eurer Wohnung.
  • Macht Telefonstress bei Vermieter*in oder Chef*in, wenn diese euch Stress machen (also z.B. euch mit Kündigung drohen oder die Miete nicht reduzieren wollen). Achtet darauf, anonyme Nummern zu verwenden!
  • Schreibt Briefe in den Knast — dort herrscht zur Zeit (quasi) Besuchsverbot, was die Situation für die Gefangenen noch unerträglicher macht!
  • Macht E-Mail-Stress bei Politiker*innen für unsere gemeinsame Forderungen! Gegen die unerträgliche Situation von Geflüchteten an den europäischen Außengrenzen zB hier: https://www.borderline-europe.de/unsere-arbeit/mailkampagne-exponential-growth-solidarity-griechische-lager-evakuieren